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„Es ist eine Show und die muss funktionieren. Und wenn ich das nicht auf die Reihe kriege, dann flieg ich halt raus“

Mit einem Publikumsgespräch stellte Bernd Sahling sein Hörstück „In ihrer Welt“ für Deutschlandradio Kultur am Samstag, 15. Oktober in Duisburg vor. 

Vorab hatte uns der Filmemacher und Autor schon einige Fragen beantwortet: 

Vor 12 Jahren hast Du den Dokumentarfilm ‚Unter Sehenden‘ gemacht. Wie kam es jetzt zu der Produktion eines dokumentarischen Hörstücks mit den ProtagonistInnen von damals?Der Film von 2004 erzählt von der Schulzeit. Er endet aber mit der familiären und beruflichen Situation der ProtagonistInnen. Ich war einfach neugierig, wie ihr Leben 12 Jahre später aussieht. Ich konnte auch nicht alle, die damals vor der Kamera standen, ausfindig machen.

Wie haben die Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der jeweiligen Medien, einerseits Film, andererseits Hörfunk, auf Deine Arbeit Einfluss genommen? Wie bist Du damit persönlich umgegangen, dass Du mit ProtagonistInnen einen Film machst, die selbst diese Bilder nicht wahrnehmen können?
Wenn es um Blindheit, Schule und die Lebenssituation danach geht, dann ist Radio ein gutes Medium, um sich auszutauschen. Der Film von 2004 ist auch ein Interviewfilm. Wir haben die ehemaligen SchülerInnen des Steglitzer Gymnasiums in ihren Wohnungen getroffen und lange Gespräche geführt. So wurde es auch geschnitten. Für mich persönlich ist es immer wieder aufregend, wenn ich etwas ausprobieren kann, das ich vorher noch nie gemacht habe. Es gibt ja fast keinen Autorenkommentar in dem Hörstück und lange Monologe.

Und hattest Du andererseits bei der Arbeit für das Hörstück das Gefühl, Dich stärker in ihrer Welt – der Geräusche, Gespräche und Töne, zu bewegen? Oder war es für Dich als Filmemacher eher schwierig, ganz ohne Bilder ihre Geschichte zu erzählen?
Viele meiner Filme haben reduzierte Dialoge und versuchen, die Geschichte über Vorgänge und Handlungen zu erzählen. Das heißt aber nicht, dass die Tonarbeit bei diesen Projekten zu kurz gekommen ist. Der Ton wurde bereits im Drehbuch für die Handlung und die Dramaturgie der Geschichte bedacht, ebenso die Musik. Mal ganz ohne Bild arbeiten zu dürfen, habe ich eher als Erleichterung empfunden. Weil auch viele technische Anforderungen an die Aufnahmen wegfallen. Gewöhnen musste ich mich daran, dass ich ganz auf mich gestellt bin, wenn ich die Gespräche führe. Ich habe nur eine Kamera als Aufnahmegerät, die musste ich für die Tonaufnahmen mitschleppen samt Stativ. Und geschnitten habe ich das Hörstück dann doch mit einem Bild, weil ich mich dadurch besser orientieren konnte.

Worin siehst Du die größten Unterschiede in der Arbeit als Autor eines Hörstücks und der als Filmregisseur?
Definitiv in der Bezahlung. Was ich nicht so recht nachvollziehen kann. Eine gute Geschichte im Hörfunk zu erzählen, ist nicht weniger Arbeit, als für einen TV-Sender oder das Kino zu arbeiten. Immerhin behält man als Autor die Rechte, was es bei Film und Fernsehen schon lange nicht mehr gibt. Ansonsten gelten für beide Medien die gleichen Anforderungen: Geschichten erzählen, die Einblicke ermöglichen, Menschen einander näherbringen und den Zuhörer oder Zuschauer berühren. Das ist nur zu schaffen, wenn viel Zeit in ein Projekt investiert wird.

In Deinem Radiofeature erinnern sich die Protagonisten/innen an ihre Zeit als blinde Integrationsschüler/innen an Regelschulen. Welche Erfahrungen haben sie während dieser Zeit gemacht und wie reflektieren sie die nun mit zeitlichem Abstand?
Es gibt bei allen die Erinnerung an die frühen Schuljahre, wo die „Welt noch in Ordnung war“, wie Hannah sagt. Kinder nahmen das Anderssein viel eher hin und freundeten sich damit an, als es später, in den höheren Klassenstufen, der Fall war. Da gingen bei fast allen die Probleme mit der Ausgrenzung los.

Dein Dokumentarfilm aus dem Jahre 2004 hatte den Titel „Unter Sehenden“, Dein aktuelles Hörstück heißt „In ihrer Welt“. Während der Filmtitel eine „Gemeinschaft“ zum Ausdruck bringt, schwingt in dem Hörstück-Titel doch mit, dass Du eher getrennte Sphären beschreibst. Entspricht dieses Verständnis der Titel der Entwicklung, wie du sie Jahre später wahrgenommen hast?
Schule ist ja bei aller Härte, die sie mit sich bringen kann, ein geschützter Raum. Die Trennung der Welten wird in dem Moment größer, wo allein die Leistungsfähigkeit zählt. Das beschreibt Silke sehr genau. Aber auch Jonas, der sagt: „Es ist eine Show und die muss funktionieren. Und wenn ich das nicht auf die Reihe kriege, dann flieg ich halt raus.“ Auch im privaten Bereich haben alle vier GesprächspartnerInnen sich in Menschen verliebt, die ein ähnliches Handicap haben. Das erzählt ja erst mal nichts aus über Zufriedenheit oder Glück. Hannah hat nach dem Rohschnitt am Telefon gesagt, dass sie total erschrocken war, wie deprimiert sie 2004 gewesen ist. Und dass es sehr schön sei, dass es jetzt nicht mehr so ist.

Der Protagonist Jonas spricht sehr anschaulich über die Bedeutung des Hörsinns und beschreibt was das Hören für ihn ausmacht. Hat sich an Deiner Sinneswahrnehmung durch die Gespräche mit den Protagonisten etwas geändert?
Ich nehme aus solchen Begegnungen, wie sie bei intensiven Gesprächen vor einer Kamera stattfinden, immer viel mit in mein eigenes Leben. Hören und Zuhören ist in der Bilderflut des Alltags keine einfache Sache mehr. Dafür müssen Räume und Situationen erst wieder geschaffen werden, gerade wenn es um unseren Umgang mit Kindern geht. Genau darauf bezieht sich Jonas, auf die Situationen mit seinem Sohn. Die Reizüberflutung führt ja zu einer Oberflächlichkeit der Wahrnehmungen und damit auch zu einer gewissen Unzufriedenheit und dem unguten Gefühl, etwas zu verpassen.

Kannst Du berichten wie Deine ProtagonistInnen die Mitarbeit an dem Hörstück bzw. dem Dokumentarfilm empfanden? 
Alle vier haben viel um die Ohren, sowohl beruflich als auch privat. Dennoch haben sie sofort zugesagt, sich die Zeit für ein erneutes Treffen freizuschaufeln. Sie hatten die Gespräche von 2004 noch gut in Erinnerung. Auch ich habe unser damaliges Rohschnittgespräch in der Schule deutlich vor Augen. Alle ProtagonistenInnen waren da, der Direktor und einige Lehrer. Nach der Vorführung war großes Schweigen. Den Gesichtern der ehemaligen IntegrationsschülerIinnen konnte man Zustimmung entnehmen: ja, so war das. Die Lehrer hingegen hatte der Film sehr nachdenklich und betroffen gemacht. Das war in dieser Offenheit neu für sie. Umso mutiger empfand ich es, den Film, so wie er war, bei der Feier zu 25 Jahren Integration am Fichtenberg-Gymnasium zu zeigen. Geladen waren schließlich auch Förderer und Politiker. Und wieder gab es betroffenes Schweigen nach der Vorführung. Und einen sehr langen Applaus im Anschluss.