Keine Angst vor Ästhetisierung und ein kontroverser Titel:
Die doku.klasse diskutierte mit Florian Baron über sein Projekt „STRESS“
Junge US-amerikanische Kriegsveteranen, die körperlich weitgehend unversehrt geblieben sind, aber unter mentalen und emotionalen Nachwirkungen leiden, im Fachjargon Post-traumatic Stress Disorder (PTSD) genannt – ein starker und intensiver Stoff für einen Dokumentarfilm. Darüber war sich die doku.klasse einig. Warum er sich für Pittsburgh entschieden habe und nicht für einen Drehort in Deutschland, wurde Florian Baron gefragt. „Weil man in den USA viel häufiger auf Menschen trifft, die mit dem Militär zu tun haben und in konkrete Kriegshandlungen verwickelt waren.“ Die ehemalige Industriemetropole Pittsburgh mit ihrer hohen Arbeitslosigkeit und spürbaren Schere zwischen Arm und Reich sei eine Rekrutierungshochburg des US-Militärs und habe sich daher besonders angeboten.
Ausgesprochen angetan waren die Workshop-TeilnehmerInnen vom ästhetischen Konzept des Films. Dieses sieht vor, mithilfe von Steadycam und von Slow-Motion-Aufnahmen eine visuelle Entsprechung für die Wahrnehmungswelt der Protagonisten zu finden. Florian Baron zur Suche nach den Bildern des Films: „Ziel ist es, den Kontrast zwischen dem Trauma im Kopf und der heilen Welt des Alltags zu visualisieren.“
Stilisierungen und Inszenierungen in Dokumentarfilmen sorgen gerne für Diskussionen. Die doku.klasse hatte bei deinem Projekt damit gar kein Problem. Hättest du das anders erwartet?
Eigentlich nicht. Ich denke, ich konnte den Teilnehmern klarmachen, dass ich mich für diese formalen Mittel nicht der Form willen entschieden habe, sondern sie ganz eng mit dem Thema des Films und dem inneren Erleben der Protagonisten verknüpfe. Als ich der Klasse einen Ausschnitt aus meinem Diplomfilm gezeigt habe, sah die Sache übrigens ganz anders aus. Da wurde das Artifizielle der essayistischen Form bemängelt.
Wie war generell dein Eindruck von der doku.klasse?
Ich war sehr überrascht, wie genau die Teilnehmer das Treatment gelesen und die Film-ausschnitte angesehen haben. Das spielte sich alles auf einem analytischen Level ab, wie ich es eigentlich nur von Leuten kenne, die selbst Filme machen. Die Klasse ist extrem wach – bei aller Begeisterung für meinen Film haben die Jugendlichen meine Herangehensweise durchaus kritisch hinterfragt.
Du hattest ein zusätzliches visuelles Element vorgestellt, das nicht die ungeteilte Zustimmung fand: verlangsamte Porträtaufnahmen von Menschen aus dem näheren Umfeld der Protagonisten.
Ja, wir haben im Schnitt gemerkt, dass uns Filmmaterial fehlt, um von einer Bildebene zur anderen zu kommen. Für mich haben diese Porträts von Menschen, die zuhause auf die Soldaten gewartet haben, eine besondere Kraft, etwas Intensives. Die Workshop-Teilnehmer waren auch beeindruckt davon, hatten aber gleichzeitig Bedenken, dass darin ein Bruch zu den anderen Mitteln des Films liegen könnte.
Auch „Stress“, der Titel des Films, wurde kontrovers diskutiert. Hat dich das verunsichert?
Nein, im Gegenteil. Die Kritik hat mich eher darin bestärkt, dass der Titel funktioniert. Die Reaktion war ja: Was soll das? Stress habe ich in der Schule oder im Job. Man bezieht den Begriff erst einmal auf die eigene Erfahrung und nicht auf etwas so Gravierendes wie Kriegstraumata. Und das finde ich gut daran. Dieses irritierende Moment, für das die Bezeichnung im Kontext meines Films sorgt, zeigt auch, wie banal unser alltäglicher Stress eigentlich ist.
Könntest du dir vorstellen, die doku.klasse noch in die weitere Entwicklung von „Stress“ miteinzubeziehen?
Darüber denke ich gerade tatsächlich nach. Ich fand es total spannend, über mein Projekt mit engagierten Leuten zu sprechen, die nicht professionell mit Filmen zu tun haben und teilweise noch zur Schule gehen. Es könnte also gut sein, dass ich die doku.klasse nochmal zu einem Probescreening bitte, wenn wir im Schnitt etwas weiter sind.