Salon

The Next Generation – Der Jugendkanal von ARD und ZDF

Julia Praschma

Es ist entschieden: Die Öffentlichen-Rechtlichen bekommen ihren Jugendkanal. Allerdings wird er nur im Netz zu finden sein – mit Unterstützung von TV und Radio. Junges Programm ist eher eine Frage der Haltung als des Verbreitungsweges.

Von Jochen Voss

Jetzt also ein Jugendkanal. Ein Jugendkanal, der nicht wirklich ein Kanal wird, sondern auf vielen Kanälen sein Publikum findet: über das Internet. Die im Oktober gefällte Entscheidung der Ministerpräsidenten sorgt für Raunen in der Medienlandschaft. Doch der Reihe nach.

Schon seit einer Weile reift die Erkenntnis, dass es Fernsehprogramme künftig immer schwerer haben dürften, ein junges Publikum zu erreichen und langfristig an sich zu binden. Programmverjüngung ist eine Mammutaufgabe, bei der es nicht darum geht, eine einzelne Sendung zu entwickeln. Vielmehr geht es darum, die Sprache des gewünschten Publikums zu sprechen, das Lebensgefühl der nächsten Generationen zu treffen, das, bedingt auch durch den digitalen Wandel, so anders ist als in den vergangenen Jahrzehnten.

Man will das junge Publikum nicht nur technisch erreichen, sondern auch in Kopf und Bauch. Statt hier und da einer Show sollte also ein trimediales Angebot her, das Fernsehen, Radio und Netz in sich vereint – mit einem TV-Kanal als zentraler Anlaufstelle und Experimentierfeld. Doch die Politik, die in Sachen zeitgemäßer Rundfunkreform in den vergangenen Jahren nicht unbedingt ein glückliches Händchen bewiesen hat, ist in diesem Fall noch einen Schritt weitergegangen. Im Oktober haben die Ministerpräsidenten der Länder nach langen Beratungen beschlossen, ARD und ZDF damit zu beauftragen, im Internet ein neues Angebot für Menschen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren auf den Weg zu bringen. 45 Millionen Euro sollen sie dafür ausgeben. Einen eigenen Sender im Fernsehen wird es nicht geben.

Die Idee der Politik: Fernsehen ist nicht unbedingt der Dreh- und Angelpunkt des Medienalltags junger Menschen. Was gesehen wird, entscheidet sich woanders – meist im Netz. Hier wird über Inhalte gesprochen, hier werden Memes kreiert, hier entdeckt man in seiner Timeline, was heute interessant sein könnte oder worüber man morgen spricht. Hier wird geklärt, ob heute der YouTube-Star auf der Agenda steht oder doch der “Tatort“. Für die Ministerpräsidenten ist entscheidend, dass es einen Unterschied macht, aus welcher Perspektive man ein Angebot entwickelt. „Das Konzept ist ein anderes, wenn es vom Fernsehen aus gedacht wird“, erklärte Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland Pfalz. Falsch ist das nicht. „Wichtig für uns war, dass wir von den Nutzungsgewohnheiten der jungen Menschen ausgehen, die mit dem Internet leben und es auch gewohnt sind, Kommunikation, Information und Unterhaltung zeit- und ortsunabhängig zu nutzen“, so Dreyer.

“Haul“, “Let’s Play“, “Tutorial“: Im Netz entstehen neue Formen für neue Interessen. Die Themenwelten verändern sich, weil das Lebensgefühl und technische Selbstverständlichkeiten sich verändern und mit ihnen die Perspektiven, Dramaturgien und Vernetzungsmöglichkeiten. Ein YouTube-Video ist mehr als ein Bewegtbildangebot. Es ist Information, Berieselung, Lehrstunde, Entscheidungshilfe, Kommunikationsplattform, Fundgrube in allen Richtungen. Klassisches Fernsehen, und damit auch das Angebot von ARD und ZDF, ist nach wie vor bedeutend. Aber nicht mehr durch bloße Existenz. Es muss sich seine Aufmerksamkeit im vielstimmigen Chor der Angebote verdienen. Sendung um Sendung, Ausgabe um Ausgabe. Denn anders als mancherorts gedacht ist im Netz viel Qualität zu finden. Da gibt es deutlich mehr als Trash, Gewalt und Katzen. Wer hier punkten will, muss seine Zuschauer sehr gut kennen: Motive, Ziele, Lebensstile. Das junge Publikum ist es mittlerweile gewohnt, dass man sich darum schert, was sie berührt. Produkt- und Software-Entwickler machen es bereits seit Jahren nicht anders. Wenn Content der König ist, dann ist Relevanz der Kaiser. Thematischer Zugang, Recherche, Dramaturgie, Produktionsweise – alles muss stimmen. Junges Programm ist nicht zwingend ein konkreter Inhalt. Es ist eine Haltung.

Fernsehprogramme werden bisher als in sich geschlossene Werke gedacht, als Sendungen mit klarem Anfang und Ende: „Vorne Hallo!, hinten Wetter“, wie mal eine TV-Redakteurin sagte. Doch wo früher eine Sendung, eine Rubrik, ein Beitrag im Bewusstsein waren, fließt heute ein unerschöpflicher Content-Strom im Hypertext. Die Fokussierung auf das Internet bedeutet jedoch nicht, dass ARD und ZDF ihre bisherigen Radio- und TV-Kompetenzen im Jugendangebot über den Haufen werfen müssen. Das wäre auch fatal. Denn bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt es journalistische Qualität und Unterhaltungs-Know-how zuhauf. Die Kunst liegt jetzt darin, diese Qualitäten in ein neues Medienzeitalter zu überführen.

Die Politik erwartet vom Jugendangebot ganz ausdrücklich eine Vernetzung mit allen zur Verfügung stehenden Medien. Allen voran sind hier wohl die jungen, hochcommunityfähigen Jugendwellen der ARD zu nennen. Und wenn es schon um einen Übergang in eine neue Zeit geht: Auch dafür ist die politische Entscheidung ein Signal. Denn erstmals dürfen ARD und ZDF jetzt ganz ausdrücklich „online only“ produzieren. Bislang sind Online-Inhalte nur begleitend zu bestehenden Sendungen oder nach einem Prüfverfahren, dem sogenannten Drei-Stufen-Test, erlaubt.

Ganz nebenbei ist das übrigens auch einer der Gründe, warum so manchem Print-Verlag das Jugend-Projekt offenbar nicht schmeckt. Hier fürchtet man die Konkurrenz gebührenfinanzierter Angebote im Netz. Da wundert es nicht, dass “Die Zeit“ in einem Gastartikel schon mal prophylaktisch eine 14-Jährige gegen das Angebot poltern lässt, das in ihren Augen überflüssig ist. Dabei gibt es derzeit weder einen Namen noch ein Detailkonzept noch konkrete Inhalte – geschweige denn das Gesetz, das den Sender tatsächlich bei ARD und ZDF in Auftrag gibt.

Und so beginnt mit der Fokussierung auf das Netz, das mit Inhalten aus TV und Radio verknüpft werden soll, auch die neue Auslotung der künftigen Aufgaben von ARD und ZDF in der digitalen Medienwelt.