„Wir fühlten uns als Leser*innen sehr gut abgeholt“: Das Treatment Chao‘s Transition von Mieko Azuma und Susanne Mi-Son Quester fand großen Anklang in der doku.klasse. Doch im Verlauf des Online-Workshops wurde deutlich: Wunsch und Wirklichkeit liegen in Zeiten der Pandemie manchmal ganz schön weit auseinander.
„Ich komme vom Tagebuchfilm her“, erzählt Susanne Mi-Son Quester zu Beginn des Workshops. Den Blick mit großer Intimität auf die eigene Person zu richten und Details des Alltags minutiös aufzuzeichnen, zählt zu den Kennzeichen dieser dokumentarischen Richtung, die Anfang der 2000er Jahre sehr verbreitet war. Also genau zu der Zeit, als Quester an der Filmhochschule in München Dokumentarfilm-Regie studiert hat. Für die ersten Minuten ihres Langfilmdebüts Paju – Die innere Teilung, mit denen sie sich in der doku.klasse vorstellt, hat sie Material verwendet, das sie damals gedreht hat: einen Kameraschwenk über ihre von Mücken zerstochenen Beine. „Es ist erstaunlich, wie schnell ein Film oder bestimmte Elemente darin selbst zum Dokument werden“, fällt der Moderatorin Aycha Riffi auf.
Auch August, Mieko Azumas Diplomfilm an der HFF München aus dem Jahr 2011, nahm unbewusst eine Entwicklung seiner Entstehungszeit auf: Damals entstanden viele Filme in hybriden Formen. Die Hauptfigur in Augustwird von einer Schauspielerin dargestellt, Fiktion und Wirklichkeit vermengen sich. Ob es in dem Entstehungsprozess auch die Idee gab, die Figur mit einer realen Person zu besetzen. Azuma verneint. „Das würde man vielleicht heute so machen“, ergänzt Susanne Mi-Son Quester. Denn jede Zeit verfüge über ihre bevorzugten Genres und Erzählformen.
Mieko Azuma und Susanne Mi-Son Quester haben in ihrem gemeinsamen Kino-Dokumentarfilm Warum ich hier bin(2018) zum ersten Mal Animationen eingesetzt und waren fasziniert von den Möglichkeiten. Auch in Chao‘s Transition wollen sie mit animierten Sequenzen arbeiten. Ihr Anteil könnte am Ende höher ausfallen als geplant, denn die Corona-Pandemie macht dem Projekt einen dicken Strich durch die Rechnung. Größte Konsequenz: Der OP-Termin von Chao wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. „Wir müssen der 3sat-Redaktion im Sommer das Sendeband schicken. Bis dahin wird Chao nach dem jetzigen Stand der Dinge noch keine vollständige biologische Frau sein“, sagt Susanne Mi-Son Quester.
Aber ist Chaos Transition tatsächlich das zentrale Thema des Films? Die Klasse ist gespalten. Eine Teilnehmerin sagt, dass der medizinische Eingriff selbst zwar besser in einer TV-Reportage aufgehoben sei – trotzdem hätte es sie interessiert, wie es Chaos danach geht. Eine andere Teilnehmerin findet es dagegen gerade gut, dass nicht die Geschlechtsanpassung im Mittelpunkt steht, sondern Chao als Person und ihre kreative Arbeit. „Ich finde es spannend zu sehen, wie sie ihre künstlerische Seite auslebt und an welchen stilistischen Vorbildern sie sich orientiert.“ Chaos Talent und Know-how als Graphikdesignerin, so Susanne Mi-Son Quester, würden auf jeden Fall Eingang in den Film finden. „Sie ist unsere Art Directorin und soll das Character Design und den Look der Animationen bestimmen.“ Damit ist sie nicht nur Protagonistin des Films, sondern nimmt auch künstlerisch eine entscheidende Rolle ein.Wie die beiden Filmemacherinnen überhaupt auf Chao gestoßen seien, möchte die Klasse wissen. „Eigentlich durch Zufall“, erzählt Mieko Azuma. Sie sei wegen eines anderen Projekts öfters in Zürich gewesen. „Verschiedene Japaner haben mir von Chao erzählt und meinten, ich müsse sie unbedingt mal kennenlernen.“ Zwischenruf einer Teilnehmerin: „Ich hätte gedacht, dass das Thema des Films vor der Protagonistin feststand.“ Keineswegs, sagt Azuma, es sei immer schwer, zuerst ein Thema zu haben und dann dafür passende Protagonist*innen zu finden. Susanne Mi-Son Quester: „Bei unserem letzten Film haben wir ewig gesucht. Und dann haben wir beschlossen, das nächste Mal suchen wir zuerst eine Protagonist*in und lassen uns dann auf ihre Geschichte ein.“
Ob es für die beiden denn eine Option sei, fragt Aycha Riffi, Chao eine Kamera zu geben und sich selbst zu filmen – im Krankenhaus etwa, wenn, wie für Januar geplant, zumindest die Brust-OP gemacht wird. „Eigentlich haben wir das nicht vor. Aber wenn gar nichts mehr geht, sind wir auch dafür offen“, antwortet Quester. Filmen in Zeiten der Pandemie. Doch Mieko Azuma ergänzt zuversichtlich: „Das Gute an Chao ist, dass immer was passiert.“