Archiv, Atelier, Startseite

Rollenwechsel in Halle 9: Lotti zwischen Stahl und Selbstfindung

Als Lea Schlude das letzte Mal mit ihrem Stoff “Lotti auf Schicht” nach Duisburg reiste, ließen sich Protagonistin Lotti und ihre Welt nur durch Zitrusfrüchte und kleine Tierfiguren veranschaulichen. Nachdem die Teilnehmenden nun lange auf die Folter gespannt wurden, kehrte Lea dieses Mal mit einem beinah fertiggestellten Dokumentarfilm zurück. Gemeinsam mit der Filmschaffenden versammelte sich die DocuMasterclass Mitte September zur Rohschnitt-Sichtung des Stoffes, der mittlerweile einen neuen Titel trägt.

 

Lea Schlude erzählte zu Beginn der Rohschnitt-Sichtung, dass Lotti inzwischen nicht mehr im Schichtbetrieb, sondern als Technikerin bei Thyssenkrupp arbeite. „Lotti auf Schicht“ heißt jetzt “Rollenwechsel in Halle 9”. Lotti jongliert mit vielerlei Rollen, nicht nur die, die tonnenschwer durch die tosenden Fabrikhallen des Gelsenkirchener Stahlwerks manövriert werden. Lotti ist Freundin, Partnerin, Tochter, engagiertes Mitglied der IG Metall Gewerkschaft, und nach wie vor die einzige Frau bei Thyssenkrupp in Gelsenkirchen. Wir beobachten Lotti dabei, wie sie versucht, all ihren Rollen gleichermaßen gerecht zu werden. Wie sieht das in der filmischen Umsetzung aus? Geht es hier um Lotti oder doch viel mehr um strukturelle Konflikte und Probleme, für die sie sinnbildlich einsteht? Fragen, die das DocuMasterclass Plenum nach der Sichtung immer wieder in den Raum wirft. Fragen auf die Lea Schlude mit ihrer Kamera Antwort sucht. „Lotti will nicht geframed werden“ sagt die Filmschaffende. Eine herausfordernde Situation für ein filmisches Porträt, das sich mit der Vielschichtigkeit seiner Protagonistin auseinandersetzt. Mit Filmteam im Schlepptau zieht Lotti in der Fabrikhalle oder im Gemeinschaftsraum der Gewerkschaft die Aufmerksamkeit auf sich, die sie sonst professionell weg nickt. Die Teilnehmenden des Workshops beobachten, dass es nicht einfach ist der Protagonistin nahe zu kommen. Die Gruppe nimmt Lotti und die Art und Weise, wie die Kamera sie einfängt, ganz genau unter die Lupe. Es sind sich alle einig; Lottis “Rollenwechsel” ist nicht immer direkt zu durchschauen. Vor ihren Freundinnen wirkt sie eher introvertiert und scheint ihr seriöses Auftreten aus dem Arbeits- oder Gewerkschafts-Kontext nicht ganz ablegen zu können. Ihr Privatleben und die Arbeitswelt verschwimmen und der Blick in ihre ganz persönliche innere Welt bleibt aus.

Für Diskussion sorgte die musikalische Untermalung der Maschinenräume und der finalen Szene, in der Lotti auf ihrem Motorrad zu deutschem Pop-Rap über die Autobahn brettert. Lea Schlude findet, dass die kontrastvolle Musik die Trennung der zwei Räume – der private und der Arbeitsraum – in denen sich die Protagonistin bewegt, unterstreicht. Einige Teilnehmende sind der Meinung, dass die Musik teilweise etwas klischeebehaftet wirkt. Den massiven Maschinen durch klassische Musik etwas Graziöses oder Künstlerisches beizumessen ist ein häufig genutztes Stilmittel. „Rollenwechsel in Halle 9“ endet mit dem Lied „Fimenello” von Nina Chuba. Teilnehmender Trevor ist der Meinung, dass das Lied gut passt: „Das kommt bestimmt direkt aus Lottis Playlist“.

Für Lea Schlude ist das Porträt ihrer Protagonistin nur ein beiläufig gezeichnetes. Eine non-voyeuristische Skizze, die am ausdrucksstärksten ist in den Momenten, die am Rande passieren. Etwa dann, wenn Lotti und ihre Freundinnen tanzend Nudelwasser abgießen oder wenn wir in der Vogelperspektive über Fabrikdächer blicken.