Die doku.klasse mit Felix Rier zu „Undine*“ war ein besonderer Tag, der allen Teilnehmenden im Gedächtnis bleibt. Undine* versucht, ihre seelischen und körperlichen Traumata, die durch sexuelle Gewalt verursacht wurden, zu verarbeiten. Felix Rier begleitet sie und hilft ihr damit.
Undine* wohnt im 21. Stock eines Hochhauses im Osten von Berlin. Es ist eine geschützte Welt dort oben, die sie mit ihrem Freund Thiago und dem gemeinsamen Labrador teilt. Sobald die Tanzlehrerin und Choreografin aber nach draußen tritt und in die kalt gefliesten U-Bahnschächte der Großstadt eintaucht, beginnt für sie eine Zone des Unbehagens und der Unsicherheit. Kurz nach ihrem 24. Geburtstag wurde Undine* Opfer sexueller Gewalt. Die Erfahrung riss in der jungen Frau tiefe physische und emotionale Wunden. Im Tanz und in einer Therapie sucht sie nach einem Weg aus dem Trauma. Doch erst als sie schwanger wird, scheint ein Wendepunkt erreicht – und in Undine* erwacht eine neue und innige Verbundenheit zu ihrem eigenen Körper.
Die Intimität, die diese Thematik mit sich bringt, ist auch in der kleinen Runde zu spüren, die sich getroffen hat, um erste Einblicke in Felix Riers Stoff zu erhalten.
Felix kennt Undine* aus Kindheitstagen. Sie kommen aus demselben Dorf in Südtirol, waren sogar die erste Liebe des jeweils anderen. Beide hat es nach Berlin verschlagen, wie Felix erzählt. Dort treffen sie sich wieder, eine enge Verbundenheit ist nach wie vor da.
Felix’ Ausbildung in einer Berliner Werbefirma entwickelt sich inhaltlich und auch moralisch für ihn zur Katastrophe, weshalb er den Kontakt zu Hannes Lang sucht – dem erfolgreichen Dokumentarfilmemacher aus Südtirol, dessen Stil Felix bewundert. Dieser hilft ihm nicht nur die richtige Entscheidung für seine weitere Ausbildung zu treffen, sondern gibt ihm auch die Möglichkeit, in seinem Film „Riafn“ als Tongestalter mitzuwirken.
Kurz bevor Felix dann zum Studium an die ZeLIG Dokumentarfilmschule nach Bozen gehen will, erfährt er, was Undine* widerfahren ist.
Im Krankenhaus berichtet sie ihm von der brutalen Vergewaltigung, die sie nur knapp überlebt hat. Auch in der doku.klasse ist die Anspannung zu spüren, als Felix dann seinen ersten Film präsentiert, der an der ZeLIG entstanden ist. „ein mann zu sein“ ist durch die Aufgabenstellung „Sound before image“ ein Brief an Undine*. Felix spricht von seiner Scham, von seinem Gefühl, während seine Freundin von dem Erlebten erzählt. Zu sehen ist nur ihr Auge in der direkten Reaktion auf Felix’ einfühlsame, aber auch verzweifelte Worte, die er selbst vorliest.
In der doku.klasse fällt es danach zunächst schwer, überhaupt Worte zu finden. Eine Teilnehmerin formuliert es so: „Bei so etwas Schrecklichem sagt man lieber gar nichts, bevor man etwas Falsches sagt.“ Umso überraschender ist dann der Teaser zu „Undine*“. Die Frau im Film empfinden alle als unglaublich starke und positive Person, die vor Kraft und Energie strotzt. Und das, obwohl Felix uns auch Momente des Verzweifelns und der Trauer zeigt. Undine* lebt in einer gesunden Beziehung mit ihrem Freund Thiago, hat eine funktionierende Therapie und schöpft viel Kraft aus ihrer Passion, die auch ihre Arbeit ist: das Tanzen. Die Tanzszenen, die Felix präsentiert, sind für alle maßgeblich für das Bild, das von der Protagonistin erschaffen wird. Deutlich wird aber auch, dass es vor allem die Verbindung von Felix und Undine* ist, die dieses Projekt so besonders macht. Ein Teilnehmer der doku.klasse nennt „Undine*“ deshalb einen „Film über eine Freundschaft“. Die Freundschaft, so berichtet Felix, ist erst nach und nach mehr auch vor die Kamera gerückt. Denn zu Beginn der Dreharbeiten war er vorwiegend stiller Betrachter, dann taucht er mehr und mehr als Freund und Gesprächspartner auf. Für die doku.klasse ist auffällig, wie sensibel Felix dabei auf seine Freundin und Protagonistin eingeht. Zuletzt präsentiert Felix noch Szenen aus einem Geburtsvorbereitungskurs, die in hellen Farben und mit glücklichen Gesichtern fast wie ein strahlendes Happy End wirken, denn Undine* ist schwanger. Felix erzählt, dass er selbst bei der Rückkehr der Eltern mit dem neugeborenen Baby aus dem Krankenhaus nach Hause die Glückstränen nicht zurückhalten konnte.
Es bleiben Fragen offen:
Wie soll der Film beginnen? Soll die Vergewaltigung direkt „auf die zwölf“ benannt werden? Drückt man der Protagonistin damit nicht den „Opferstempel“ auf? Wie soll der Film enden? Ist die Geburt des Babys nicht zu klischeebehaftet? Wie soll der Film heißen? Denn Undine* ist ein Pseudonym aus einem Zeitungsartikel, erfährt die doku.klasse. Deswegen auch das Sternchen. Diese Benennung ist hängen geblieben bei Felix – Undine, der weibliche, jungfräuliche Wassergeist, eine Sagengestalt. Was hat sich der Zeitungsjournalist dabei gedacht? Und ist Felix’ Freundin nicht viel mehr als diese Undine*, die durch die Vergewaltigung entstanden ist? Gerade darum geht es doch.
Die doku.klasse ist gespannt, wie Felix Rier diese gleichzeitig schreckliche und doch so beeindruckende Geschichte weiter erzählen wird.