Atelier

Interview mit Teilnehmenden

Seit einem Jahrzehnt bietet die doku.klasse zahlreichen talentierten Dokumentarist*innen die Möglichkeit, ihre kreativen Stimmen zu entfalten und ihre Geschichten zu erzählen. Mit einem Blick zurück auf die vergangenen Jahre und einem Fokus auf die Zukunft des Genres stellen wir die Frage: Welche Themen werden in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen? Und wie können Filmemacher*innen ein junges Publikum für ihre Werke begeistern?

Niemand könnte diese Fragen besser beantworten als die Teilnehmenden selbst, die die Essenz und Vielfalt der doku.klasse verkörpern. Unter ihnen befindet sich Jihad, eine langjährige Teilnehmerin, die seit den Anfängen des Projektes dabei ist und einen beeindruckenden Einblick in die Entwicklung und den Wandel des Dokumentarfilms der letzten Dekade gewonnen hat. Ebenso haben Lino und Nina, zwei filmbegeisterte Jugendliche aus Duisburg, bereits 2023 in unserer Jugendjury mit viel Leidenschaft über die Vergabe der Großen Klappe diskutiert. Ihre Expertise für das Medium teilen sie nun mit uns und den aktuellen Stipendiat*innen der doku.klasse. Wir freuen uns, ihre Visionen für die Zukunft des Dokumentarfilms zu hören.

Was glaubst du, werden Themen in Dokumentarfilmen in zehn Jahren sein?

LINO: Zum einen der Klimawandel. Ich glaube, wir werden stärkere Auswirkungen der Klimakatastrophe erleben, sodass die realen Konsequenzen auch die Dokumentarfilme erreichen werden. Zum anderen das Thema soziale Ungleichheit. Die Schere zwischen Arm und Reich wächst immer weiter. Wir werden definitiv mit mehr Werken konfrontiert sein, die die Opfer dieser Entwicklung begleiten bzw. dieses Feld an sich kreativ bearbeiten.

NINA: Bestimmt wird auch Künstliche Intelligenz auch in Dokumentarfilmen Berücksichtigung finden. Tatsächlich glaube ich aber nicht, dass die grundsätzlichen emotionalen Themen wie Identität, Auf wachsen und Leidenschaft untergehen werden. Ich kann mir vorstellen, dass sich hauptsächlich die Darstellungsweise ändert.

JIHAD: Ich glaube, die Themen werden diverser und hoffe, dass mehr Menschen Geschichten aus unterschiedlichen Kulturen, Biografien und Bevölkerungsgruppen erzählen können und sich dies nicht nur in der Arbeit vor, sondern auch hinter der Kamera spiegelt. Im Buchbereich spricht man viel von „Own Voice Storytelling“, Ähnliches sehe ich auch in der Zukunft des Films. Persönliche Geschichten, geprägt aus der Welt, die man kennt, um universelle Geschichten zu erzählen.

„Es tut immer gut, so viele Perspektiven wie möglich einzunehmen, um unsere Welt und Gesellschaft besser verstehen zu können.“

Hat sich eure Sicht auf Dokumentarfilme verändert, seit ihr Teil der doku.klasse seid?

LINO: Ja, definitiv! Durch die stundenlangen Diskussionen über bereits fast fertige Filme habe ich gelernt, wie viele Gedanken und Ideen hinter einer einzigen Einstellung oder hinter ein paar Bildern stecken. Dokumentarfilme setzen einem häufig eine Brille auf, durch die man die Welt neu sieht. Es tut immer gut, so viele Perspektiven wie möglich einzunehmen, um unsere Welt und Gesellschaft besser verstehen zu können.

NINA: Bei mir auch! Ich merke jedes Mal, wenn ich jetzt einen Film schaue, wie sehr ich mich früher nur auf die Handlung und reißerische Attribute konzentriert habe. Das ist nicht direkt schlecht, aber sich die Darstellung und Aufbereitung des Themas genauer anzugucken, ohne einfach nur die ein oder andere Handlungswende zu bewerten, ist die Art, wie ich Filme jetzt anschauen möchte.

JIHAD: Ich bin jetzt schon seit einiger Zeit bei der doku.klasse und finde es immer wieder interessant zu sehen, wie unterschiedlich filmische Arbeiten aussehen kann. Es ist schön zu sehen, welche künstlerische Vielfalt Dokumentarfilm beinhalten kann und in welcher Form sich das visuell, storytechnisch oder auditiv ausdrücken kann.

„Ich hoffe, dass mehr Menschen Geschichten aus unterschiedlichen Kulturen, Biografien und Bevölkerungsgruppen erzählen können und sich dies nicht nur in der Arbeit vor, sondern auch hinter der Kamera widerspiegelt.“

Wann, findet ihr, sind Filme besonders zugänglich für ein junges Publikum? Was können Filmemacher*innen tun, um das zu ermöglichen?

NINA: Generell denke ich, dass besonders Musik einen Film unheimlich verändern kann. Es macht ihn intimer und persönli cher. Außerdem finde ich persönlich eine emotionale Verbindung zu dem Werk sehr wichtig, egal, ob der Fokus auf der Gefühlslage des Publikums liegt oder es um die Aufarbeitung eines Themas durch die Filmschaffenden geht.

JIHAD: Ich finde, Filme sind für junges Publikum besonders zugänglich, wenn sie auf Augenhöhe erzählt werden und nicht den Zuschauenden hierarchisch begegnen oder künstlich kindlich rüberkommen. Junge Menschen sind genauso interessiert an komplexen Geschichten wie ältere Generationen und man kann ihnen als sehen dem Publikum viel zutrauen. Daher finde ich es wichtig, dass Filmschaffende gerade auf sowas achten. Man muss nicht immer alles übererklären oder runterbrechen.

„Steht zu eurer Kunst. Es geht dabei um eure Emotionen und Themen, die ihr der Welt in eurem Werk näherbringen wollt. […] Die persönlichste Art der Kunst ist immer noch die realste.“

Habt ihr einen Tipp für angehende Filmemacher*innen?

LINO: Versucht euch nicht krampfhaft mit Schnittstil, Musik, Sprache oder all gemeiner Ästhetik bei der Jugend an zubiedern. Ein Thema, das Jugendliche anspricht und interessiert, kommt ohne „Diggah“, „Slay“, oder „lost“ aus. Habt Vertrauen in euer Material und bauscht es nicht zu etwas auf, was es nicht ist! Ver sucht in der Themenwahl zu verstehen, was Jugendliche heute bewegt, aber vergesst dabei nicht, mit ihnen statt über sie zu filmen. Viel zu oft kommt es vor, dass es in Filmen zwar um junge Menschen geht, ihre Perspektive aber außen vor bleibt.

NINA: Steht zu eurer Kunst. Es geht da bei um eure Emotionen und Themen, die ihr der Welt in eurem Werk näherbringen wollt. Lasst euch nicht durch die zu nehmende Kommerzialisierung der Kunst aufhalten und leiten. Die persönlichste Art der Kunst ist immer noch die realste.

JIHAD: Ich habe letztens einen Rat bekommen, der mich nicht mehr ganz so leicht loslässt. Und zwar, dass man hun dert Prozent der Chancen verpasst, die man nicht versucht. Ich weiß, dass das Filmbusiness kein leichter Weg ist – gerade für marginalisierte Stimmen. Daher finde ich es wichtig, sich gegenseitig zu unterstützen und Netzwerke zu schaffen. Hier hoffe ich auch auf viel Zuspruch von bereits etablierteren Stimmen, dass sie angehenden Künster*innen helfen und dass Austausch und Hilfestellungen eine Selbstverständlichkeit werden.