Die Präsentation und Diskussion aktueller Filme aus der »Ab 18!«-Reihe während des Festivals im Kino hat Tradition. Dieses Jahr kam es anders. doxs! lud zu einer besonderen Videokonferenz ein: Die beiden Filmemacher*innen Rosa Hannah Ziegler und Jonas Heldt trafen sich virtuell im Klassenraum mit der doku.klasse und Schüler*innen des Projektkurses Fotografie der 12. Klassen des Steinbart Gymnasiums in Duisburg. Sie schauten zeitgleich online die beiden Filme und kamen im Anschluss jeweils wieder im digitalen Konferenzraum zusammen. Antje Knapp moderierte die Veranstaltung von Spanien aus. Trotz der technischen Herausforderung ein gelungenes Experiment!
Wie viel Exposé-Text ist noch im Film?
Auch wenn face-to-face momentan nicht möglich ist, findet sich in der doku.klasse der Raum für einen nachhaltigen Austausch. Beide Filmemacher*innen waren 2019 mit ihrem Exposé in Duisburg zu Gast. Und auch die Schüler*innen des Steinbart-Gymnasiums haben die Texte vor der Video-konferenz gelesen und sich Notizen gemacht. Für beide Projekte ist es besonders spannend zu betrachten, wie sich der Exposé-Text nun im fertigen Film wiederfindet.
Jonas Heldt präsentiert als erster seinen Film Seda baut Autos, der von der 20-jährigen Lagerarbeiterin Seda handelt. Bei dem Autohersteller Audi kämpft sie darum, aus den Strukturen der Leihfirmen rauszukommen, damit sie sich ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen leisten kann. Die Teilnehmer*innen interessiert, ob Seda den Film bereits gesehen hat und was sie dazu sagt. Heldt erzählt, dass Seda vom Ergebnis begeistert ist: „Sie hatte von Anfang an große Lust auf das Projekt, und das braucht es auch.“ Drei Jahre haben beide sich immer wieder zu Dreharbeiten getroffen, da sei es wichtig, dass die Protagonistin ihre Vorstellung vom Film mit einbringen kann. Das bedeute dann für ihn, mit einer nicht zu konkreten Vorstellung in den Film zu gehen.
Eine Teilnehmerin bemerkt, dass der Filmtitel sich geändert hat. Im Exposé lautete der Arbeitstitel noch „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“. Genau das meint Heldt, für ihn ist der Arbeitstitel eine Richtung, wie er auf den Film zugehen möchte, aber: „Wenn ich mir vorher zu genau überlege, es geht um die Zukunft der Arbeit – und meine Protagonistin hat dann eine andere Vorstellung, ist das ein Problem.“ Eine andere Teilnehmerin erinnert sich, dass im Exposé die Mehrsprachigkeit unter den Leiharbeiter*innen interessant war, diese aber im Film nicht vorkomme, worauf Heldt widerspricht und auf kleine Unterhaltungen zwischen Seda und Mitarbeiter*innen in anderen Sprachen hinweist. Darin steckt der internationale Gedanke, wenn auch nur in Nuancen, denn „am Ende ist der Film natürlich eine Summe von Entscheidungen“.
Eine davon wurde maßgeblich vom letzten Treffen bei der doku.klasse beeinflusst. 2019 plädierten die Teilnehmer*innen dafür, Sedas Zweitjob an einer Tankstelle im Film zu zeigen, um ihren Einsatz für ein selbstbestimmtes Leben zu unterstreichen. Das Argument der jungen Kritiker*innen war überzeugend, und so nahm Heldt den Erzählstrang wieder in den Film auf.
Als nächstes widmen sich die Workshop-Teilnehmer*innen dem Film Ich habe dich geliebt von Rosa Hannah Ziegler. Es geht um die jungen Erwachsenen Katharina und Ben, die sich in einer On-Off-Beziehung befinden. Die beiden drehen sich in Streitgesprächen im Kreis und es ist unklar, ob sie sich überhaupt noch guttun können.
Die sehr offenen Gespräche im Film animieren die Schulklasse zu einer kleinen Blitzumfrage, wie viel sie denn vor der Kamera preisgeben würden. Die Mehrheit gibt an, dass sie jegliche Form von privaten Gesprächen nicht mit anderen teilen würden. Ziegler berichtet von der engen Vertrauensbasis zwischen ihr und den beiden Protagonist*innen. Das Projekt hat seine Wurzeln in dem Dokumentarfilm Familienleben von 2018. Ben ist der Sohn der Familie, die Ziegler in diesem vorherigen Dokumentarfilm begleitete. Als die Regisseurin das Paar damals kennenlernte, war die Beziehung noch geprägt von Liebe: „Es sollte um das junge Liebesglück gehen und ihren starken Kinderwunsch.“ Doch die Beziehung bekam Risse und musste sogar den Verlust eines Kindes aushalten.
„Wann entscheidest du dich, die Kamera auszumachen?“, möchte eine Teilnehmerin wissen. Eine klare Bremse zieht die Filmemacherin bei Gewalt oder wenn sie das Gefühl hat, ein*e Protagonist*in fühlt sich unwohl. Ein Gespür dafür bekommt sie durch Vorgespräche und den Austausch in Drehpausen. Für Ich habe dich geliebt gab es elf Drehtage, und die Ideen für verschiedene Situationen wurden gemeinsam erarbeitet. So entstand eine Schlüsselszene des Films, bei der es um den Umgang mit der Trauer um das verlorene Kind geht, aus einer völlig anderen als ursprünglich geplanten Situation heraus. Eigentlich wollten die Protagonist*innen das Aufstehen und Frühstückmachen begleiten lassen. Es ergab sich jedoch dieses aufwühlende Gespräch zwischen den Kissen. Das lässt die Rückfrage aufkommen, ob Gespräche auch für die Kamera entstanden sind: „Hätte es die auch ohne dich und die Anwesenheit der Kamera gegeben?“ Darauf kann Ziegler versichern: „Es gab viele dieser Gespräche vorher auch schon.“ Dazu kommt noch, dass Katharina Videos auf der Plattform TikTok veröffentlicht und Ben schreibt. Beide kennen es, sich vor anderen zu öffnen. Doch Ziegler sagt auch: „Ein Film ist keine Therapie.“
Die Schulglocke läutet nun den Abschluss des Nachtreffens ein. Ein großer Dank geht an Jonas Heldt und Rosa Hannah Ziegler, die sich gemeinsam mit den Jugendlichen die Zeit genommen haben, den vollen Entstehungsprozess der Filme noch einmal genau zu betrachten und Dinge in Frage zu stellen. „Wir sehen uns mit neuen Ideen wieder.“