Eine Filmkritik von Jasmin Kreilos zu Kilian Helmbrechts „Einmannland“ (2017) – entstanden in der 3sat-Reihe „Ab 18!“
Was bewegt einen jungen Menschen dazu, freiwillig sechs Wochen lang auf einer einsamen Insel Vögel zu zählen? In Zeiten von Digitalisierung und ständiger Erreichbarkeit scheint dies wie ein Traum. Kilian Helmbrecht, gleichzeitig Regisseur und Protagonist, macht in „Einmannland“ genau diese Erfahrung. Im Frühjahr 2016 hat er auf der Nordseeinsel Scharhörn die Vogelpopulation gezählt und seine Erlebnisse mit der Kamera festgehalten.
Neben der Landschaft dokumentiert der Film seinen Alltag auf der Insel und seinen Umgang mit der Einsamkeit. Erfahrung mit Filmen hat der Wittener schon reichlich: neben eigenen kleinen Filmprojekten arbeitete er bereits bei verschiedenen Fernsehproduktionen, unter anderem für den NDR, Arte und die BBC, mit. Diese Kenntnisse werden auch in seinem Dokumentarfilmdebüt deutlich, in dem Kilian Helmbrecht vor allem auf beeindruckende Landschaftsaufnahmen setzt. Wenn man ihn als winzigen Punkt am Horizont entlang wandern sieht wird deutlich, wie groß und mächtig die Natur selbst auf einer kleinen Nordseeinsel sein kann. Auch die intimeren Momente sind mit Off-Kommentaren Helmbrechts wirkungsvoll inszeniert. In ihnen liest er aus Briefen vor, die er an seinen Freund Marko schreibt, der auf einer benachbarten Insel eine ähnliche Tätigkeit ausübt. Dass Kilian Helmbrecht den Film scheinbar vollständig alleine geplant und gefilmt hat, macht die Umsetzung umso beeindruckender.
Der Film kann als bemerkenswertes Zeugnis menschlichen Handelns verstanden werden, in dem subtil auf den Einfluss des Menschen auf die Natur und die steigende Umweltverschmutzung verwiesen wird: Helmbrecht sammelt am Strand Müll, findet Ölreste und einen alten Computermonitor, während im Hintergrund riesige Containerschiffe vorbeiziehen. Insbesondere die unkommentierten Bilder hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Allerdings drängt sich die Frage auf, inwiefern es wirklich Helmbrechts Absicht war, Kritik an unserem Umgang mit der Natur zu üben. Als er sich über das Internet eine Kokosnuss bestellt, kommt der Zuschauer nicht umhin sich zu fragen, ob es nicht genau dieses Konsumverhalten ist, welches die Containerschiffe und Ölreste am Strand erzeugt. Ein Hinweis darauf, dass jeder einzelne an diesen Missständen Schuld trägt?
„Einmannland“ beeindruckt auch nach mehrmaligem Sehen mit seinen Landschafts- aufnahmen. Helmbrechts technische Fähigkeiten stehen außer Frage und er hat ein imposantes Porträt eine Nordseeinsel geschaffen. Allerdings werden nach und nach auch Schwachstellen des Films deutlich. So stehen die Naturaufnahmen zusammen mit den beinahe poetisch anmutenden Briefen in Kontrast zu jenen Szenen, die er mit einer GoPro-Kamera gefilmt hat. Diese erscheinen überflüssig und erzeugen eher einen Bruch, als dass sie zur Handlung beitragen. Während seine vorgelesenen Briefe nachdenklich wirken und sich mit Themen wie Einsamkeit, Suchen und Finden, aber auch dem Sinn des großen Ganzen beschäftigen, wirken Szenen, in denen er seinen Essensvorrat auspackt, bemüht lustig und künstlich. Diese kommentierten Einschübe unterbrechen den Fluss des Films und passen nicht zum Rest seines nachdenklichen und potentiell kritischen Tons.
Aufgrund der beeindruckenden Landschaftsaufnahmen ist der Film auf jeden Fall sehenswert, da er von diesen Bildern geradezu getragen wird. Allerdings hätte es mich auch interessiert, die Meinung von Marko, Helmbrechts Brieffreund, zu hören. Wie ergeht es ihm bei der Arbeit? Macht er dieselben Erfahrungen? Am Ende muss sich der Zuschauer seine eigenen Antworten suchen: Die anfangs gestellte Frage nach dem „Warum“ bleibt offen.
In voller Länge ist „Einmannland“ in der 3sat-Mediathek hier zu finden.