Die DocuMasterclass begrüßt den neuen Jahrgang:
Wir begleiten zwei neue Projekte – vom Exposee bis zum Rohschnitt.
Die DocuMasterclass begrüßt den neuen Jahrgang:
Wir begleiten zwei neue Projekte – vom Exposee bis zum Rohschnitt.
Als Lea Schlude das letzte Mal mit ihrem Stoff “Lotti auf Schicht” nach Duisburg reiste, ließen sich Protagonistin Lotti und ihre Welt nur durch Zitrusfrüchte und kleine Tierfiguren veranschaulichen. Nachdem die Teilnehmenden nun lange auf die Folter gespannt wurden, kehrte Lea dieses Mal mit einem beinah fertiggestellten Dokumentarfilm zurück. Gemeinsam mit der Filmschaffenden versammelte sich die DocuMasterclass Mitte September zur Rohschnitt-Sichtung des Stoffes, der mittlerweile einen neuen Titel trägt. Weiterlesen
Das Bundes.Festival.Film. in Kooperation mit doxs! ist vorbei, aber dank unserer Protokollantin Maxi Braun gibt es hier den Bericht zum Dokumentarfilm-Panel mit unseren Gäst*innen Britta Wandaogo, Julia Milz, Mala Reinhardt und Sven Ilgner. Viel Spaß beim Lesen und Revue passieren lassen! Weiterlesen
Was machen Illustrator*innen – und wie bist du dazu gekommen?
Ganz einfach gesagt: Illustrator*innen machen Bilder. Und das in den verschiedensten Stilen und Techniken; sei es bunt oder schwarzweiß, einfach oder in komplexen Kompositionen, digital oder analog. Illustrationen finden Anwendung in Kampagnen, Produkten, Buchcovern, Werbematerial, Texten und Textilien – die Bandbreite ist vielfältig. Das Bildermachen war schon immer mein Ding. Ich habe viel und gern gezeichnet, vor allem in der letzten Bank in der Schule. Ursprünglich wollte ich Modedesign studieren, entschied mich dann aber für Kommunikationsdesign. An der Folkwang UdK in Essen habe ich im Rahmen meines Studiums alle notwendigen Gestaltungsgrundlagen im Bereich Fotografie, Design und Illustration gelernt. Bereits während des Studiums übernahm ich kleinere Jobs, gestaltete Flyer und Plakate für Veranstaltungen von Freund*innen, illustrierte für Magazine und war auch außerhalb der Uni kreativ tätig – sei es in Installationen, Bühnenbildern oder künstlerischen Workshops mit Kindern. Nach dem Studium zog ich schließlich nach Berlin. Dort habe ich mich dann ganz auf Illustration konzentriert.
Auf welcher Basis erstellst du deine (doku.klasse)Illustrationen?
Die Basis ist meine Intuition. Ein persönliches, ganz subjektives Gefühl, das ich bei den Themen empfinde und dem ich dann folge. In der Uni war es ein absolutes NoGo zu sagen, man hat etwas gestaltet, weil man es so gefühlt hat. Bei den meisten Projekten, für die ich jetzt angefragt werde, gibt es definierte Anforderungen und eine recht vorgeprägte Idee des finalen Produkts. Bei der doku.klasse ist das anders. Hier kann ich so richtig frei drehen und die absurdesten Bildideen umsetzen. Seit zehn Jahren darf ich schon für euch arbeiten, deswegen ist das Vertrauen in meine Arbeit da und das hilft mir, mich fallen zu lassen.
Wie geht der kreative Prozess dann weiter?
Wenn ich die Themen kriege, mache ich ganz grobe Bleistiftskizzen. Hier geht’s nur darum, meine ersten Gedanken festzuhalten: Die Bildidee und eine grobe Komposition zu verbildlichen. Zu Beginn gehe ich die von euch bereitgestellte Stichwortliste durch. Dann schaue ich, wo ich am ehesten hängen bleibe und mir direkt was einfällt. Am Ende wähle ich die besten Skizzen aus und gehe in die Umsetzung. Die erfolgt dann am Computer. Mit meinem Grafiktablet kann ich direkt auf dem Bildschirm zeichnen, was ein ziemlich authentisches Zeichenerlebnis vermittelt, ähnlich wie beim Zeichnen auf Papier.
Woher bekommst du die Ideen für die einzelnen Illustrationen und den Gesamtlook?
Für bestimmte Posen oder Objekte suche ich Bildvorlagen im Internet, um mich daran zu orientieren oder ich nutze eigenes Bildmaterial. Mittlerweile ist der Stil der doku.klasse Illus ja eher grafisch und rein illustrativ, aber in den Anfängen waren es noch Collagen. Damals habe ich teilweise Fotos von mir selbst oder von Freunden zerlegt und überzeichnet.
Wie kam es zu dem „illustrativeren“ Stil in deinen doxs!Bildern?
Im Jahr 2017 hatte die damalige Projektleitung einen Instagram Post von mir gesehen, in dem ich mal etwas Neues ausprobiert hatte. Dieser Look kam so gut an, dass ich ihn auch auf die doku.klasse anwenden sollte. Seitdem sind die Illus wesentlich farbenfroher. Anfangs waren sie nur in Blautönen gestaltet, passend zum Corporate Design.
Wie stark haben deine Arbeiten mit dir persönlich zu tun?
Früher habe ich Illustrationen als Ventil benutzt, um meine Gefühle nach außen zu tragen, quasi eine Art Selbsttherapie. Mittlerweile kommt es nur noch selten vor, dass ich die tiefsten Gefilde meines Seelenlebens oder Fotos von mir in meinen Illustrationen verarbeite. Aber bei einer der Illus in diesem Jahr habe ich tatsächlich ein sehr persönliches Foto als Vorlage verwendet. Es ist ein Foto von meinem Vater und mir zu Beginn der 1990erJahre, wie er mich auf den Schultern trägt. Das Foto ist für mich das totale Sinnbild für die Stärke und Sicherheit, die einem gegeben werden kann. So ein Gefühl ist mächtig und es kann dich für immer prägen. Mein Vater ist vor einigen Jahren gestorben, aber das Gefühl, dass er mich auf seinen Schultern durchs Leben trägt, bleibt für immer. Nicht alle Menschen haben das Privileg, dieses Gefühl von ihren Eltern mitgegeben zu bekommen. Die Illustration ist ein Versuch, dieses Gefühl zu vermitteln.
Fällt es dir manchmal schwer, Ideen zu finden? Wenn ja, was hilft dir bei der Inspiration?
Nach einer langen Zeit des NichtIllustrierens fühle ich mich in der Tat manchmal etwas schwergängig beim Start. Grundlegend hilft es einfach, im Training zu bleiben. Wie eine Musiker*in ihr Instrument üben muss oder eine Sportler*in ihre Bewegungsabläufe trainieren, so ist das eben auch beim Illustrieren: Man sollte den Zeichenmuskel immer schön warm halten. Und wenn man einmal im kreativen Flow ist, sollte man dem unbedingt folgen. Aber der kreative Kopf ist natürlich nicht unerschöpflich. Deswegen ist es wichtig, Pausen zu machen, zu ruhen, sich was Gutes zu tun, Leben zu leben. Energiereserven müssen zwischendurch unbedingt aufgeladen werden. Inspiration finde ich oft im Alltäglichen, ziehe sie aber auch aus anderen Bereichen und Disziplinen: Ausstellungen, Theater, Filme, Fotografie. Am besten ist es, sich regelmäßig mit Input zu füttern, dann kann man in den entsprechenden Momenten davon zehren. Wenn ich versuche, Dinge zu erzwingen, dann klappt meistens gar nichts. Die besten Ideen kommen mir, ehrlich gesagt, wenn ich am wenigsten damit rechne: Zum Beispiel abends vor dem Schlafen gehen oder beim Meditieren.
Ist der Austausch mit anderen auch Teil deiner Arbeit oder arbeitest du recht eigenständig?
Ich arbeite in der Regel alleine. Natürlich gibt es den Kontakt mit der Auftraggeber*in vorab, aber das ist meistens mit einer Mail oder einem Telefonat geklärt. Ich bin allerdings Teil einer tollen Studiogemeinschaft. Dieser Ort ist fast wie mein zweites zu Hause, die Menschen dort, mit denen ich mir die Räumlichkeiten teile, sind mittlerweile gute Freund*innen, Kamerad*innen, Genoss*innen. Ohne Community könnte ich mir mein Leben und meine Arbeit nicht vorstellen. Das Freelance Leben kann manchmal einsam sein, das private Ich und das JobIch verschmelzen oft. Sich austauschen und sich verstanden fühlen unter Gleichgesinnten, ist total hilfreich und bestärkend. Und mit einer guten Crew macht das Ganze gleich viel mehr Spaß!
Wie stehst du zu KI? Beeinflusst sie deine Tätigkeit?
Ich sehe die Vorteile und die Möglichkeiten, habe aber auch an manchen Stellen Vorbehalte. Mit Sicherheit macht KI vor allem im Bereich Text und Bildbearbeitung vieles einfacher und zugänglicher. Beim Urheberrecht kommen da aber große Fragezeichen auf und auch bei der Frage von geschaffenem Realismus, der so echt ist, dass man ihn kaum als Fälschung entlarven kann. Das stelle ich mir vor allem in Zusammenhang mit dem Thema Fake News sehr schwierig vor. Wo bekommt man die Garantie von Echtheit her? Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass viele Menschen Dinge aus dem Internet nicht hinterfragen. Den Gedanken finde ich etwas besorgniserregend. Aber natürlich bin auch ich neugierig und habe etwas mit KI herumexperimentiert. Es ist verlockend, dass sich jetzt fantastische Welten im Handumdrehen visualisieren lassen. Für mich ist es vor allem interessant, einzelne, konkrete Bildelemente zu generieren und diese für meine Collagen zu nutzen. Ich habe allerdings noch nichts davon veröffentlicht.
Was würdest du Leuten empfehlen, die selbst Illustrator*innen werden möchten?
Mach dich auf die Suche nach deinem eigenen Stil! Versuche dabei, dich nicht zu sehr von außen irritieren zu lassen, und bleib bei dir. Deine Erfahrungen, dein Background und deine Sicht auf die Dinge sind einzigartig und gibt es so nicht noch mal. Nur Du bist Du und das ist deine Super power! Lass dich dabei gern inspirieren, aber Vorsicht, wenn du nur bei Instagram und Pinterest durchscrollst. Die Gefahr, dass du Vorhandenes reproduzierst, ist groß. Lass dich von anderen Disziplinen anregen: Gehe ins Museum, ins Theater, höre Musik, führe gute Gespräche und gehe mit offenen Augen durch die Welt. Als Illustrator*in, generell als künstlerisch und/oder selbstständige Person, braucht man einen verdammt langen Atem. Bei einigen wenigen mag der Durchbruch fix kommen, aber bei den meisten dauert es ewig, bis sie mit ihrer Arbeit solides Geld verdienen. Dinge, die man sich aneignen sollte – und das am besten früher als später – sind Disziplin, Selbstorganisation und sich selbst als Business zu begreifen. Hört sich unsexy an, ist aber so. Als Illustrator*in bist du Künstler*in, aber auch Dienstleister*in. Das ist manchmal ein schmaler Grat. Lass dich davon nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Mir hat geholfen, mir einen separaten Arbeitsraum zu suchen und mich mit Gleichgesinnten zu umgeben. Mich hat das inspiriert und motiviert. Ich finde es wichtig, sich auszutauschen, auch über Schwierigkeiten, Misserfolge oder auch Dinge, die man nicht versteht. Aus Fehlern lernt man in der Regel am meisten, daran wächst man.
Der Rohschnitt kommt sehr gut an und die Erwartungen in Bezug auf die Präsentation des Protagonisten Raffly haben sich erfüllt. Auch beim zweiten Workshop mit Kilian Helmbrecht wird deutlich, wie viele Identifikationsmomente das Thema für die Gruppe bietet. Sei es die Wohnungssuche, die Überlegungen, was man am besten nach der Schule oder nach dem Studium macht, das Balancieren zwischen verschiedenen sozialen Rahmen oder ganz konkrete Erfahrungen mit Alltagsrassismus, die schon bei einem ungewöhnlichen Nachnamen spürbar sind. Thema ist auch die Präsenz von Kilian Helmbrecht selbst im Film. In der letzten doku.klasse nur theoretisch besprochen, sehen wir nun den Regisseur im Bild, hören seine Fragen an Raffly oder ihn die plötzliche Frage eines Passanten nach ihrer Herkunft beantworten: „Ruhrgebiet!“. Der transparente Ansatz des Cinema Vérité, den der Filmemacher hier wählt, wird als besonders passend empfunden. Es lasse, so der allgemeine Tenor, etwa die Wohnungsbesichtigungen authentisch wirken und verschleiere nicht, dass die Kamera anwesend ist und sogar einen Effekt auf das Ergebnis haben könnte. Einzelne Szenen werden genauer besprochen, wie etwa jene, in der Raffly beim Beten gezeigt wird. Eine Teilnehmerin merkt hier an, dass das selbstverständlich Teil seines Alltags ist, aber gerade dadurch, dass die Szene im Film ist, die Gefahr bestehen könnte, seine Religion besonders herauszustellen und sie daher gut eingebettet werden sollte. Das Resümee des Regisseurs: „Es ist noch ein bisschen was zu tun, aber ich habe heute eine Menge gute Ideen mitgenommen.“ Im
Anschluss an den Workshop führte doku.klasse Teilnehmerin Lena Tuitjer ein kurzes Interview mit Kilian Helmbrecht.
Wie hast du eigentlich deinen Protagonisten kennengelernt?
Über Leute, die ich zufällig mal in Hamburg kennengelernt habe und einfach ganz sympathisch fand. Über den Bekanntenkreis war ich dann mal in Berlin bei einem Kulturverein und habe dort mein Projekt vorgestellt. Raffly kam danach auf mich zu und sagte, er hätte Lust dazu.
Erzähl uns doch gern etwas über die bisherigen Dreharbeiten.
Was schon relativ früh bei dem Film klar war: Das Drehen wird genauso irre wie die Wohnungssuche in Berlin selbst. Man erwartet, dass man jemanden durch ein paar WGCastings begleitet. Dann wurde klar, es geht nicht um WGCastings, sondern eine Wohnungssuche. Der Zeitrahmen ist ein anderer. Es geht nicht um drei, sondern neun Monate. Da kann ganz viel passieren. Es deutet sich auch an, dass andere interessante Dinge passieren. Dann das Maß zu finden, dabei zu sein, aber nicht zu viel dabei zu sein – weil ich ja auch nicht die ganze Zeit danebenstehen und der Person auf die Nerven gehen will. Man muss sich also zurücknehmen und nur da sein, wenn es wirklich relevant ist. So kann man ja auch Vertrauen erzeugen.
Das ist dir offenbar gut gelungen!
Mir war es wichtig, einen Film zu machen, bei dem ich spüre, wie er entstanden ist und wie das Verhältnis zwischen Regie und Protagonist ist. Im Laufe des Drehs haben Raffly und ich uns dann auch miteinander angefreundet. Und ja: Man kann das auch spüren, dass es ein entspanntes und vertrautes Verhältnis ist.
Wie gefällt dir die Arbeit mit der doku.klasse bislang?
Das Spannende an der doku.klasse ist für mich, dass man, während ein Film entsteht, die Möglichkeit bekommt, sich darüber auszutauschen und den Film im Prozess gemeinsam mit dem Publikum zu schauen und wirklich in das Thema einzusteigen. Als ich letztes Jahr hier war, hatte ich gerade die ersten Drehtage hinter mir. Es war noch sehr, sehr offen, in welche Richtung sich dieser Stoff entwickelt. Es war nur schon klar, dass sich die Dinge nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte, ereignen würden. Was sich damals schon abzeichnete, war, dass die Dinge, die ich an dem Thema interessant finde, auch die Teilnehmer*innen der doku.klasse interessant finden. Es gibt da eine gemeinsame Schnittmenge. Es ist manchmal etwas sperrig, darüber zu reden. Aber vielleicht entsteht am Ende ja ein Film, der es schafft, ganz unsperrig darüber zu reden, indem eine Person dabei beobachtet wird, wie sie sich durch Berlin bewegt und versucht, einen Job, ein Visum und eine Wohnung zu finden.
Wir bleiben gespannt und freuen uns auf die Festivalpräsentation in 2024!
Antje Schneider und Carsten Waldbauer berichten zu Beginn, wie sie Günni und Steffen während eines anderen Projekts kennenlernten und was sie dazu inspirierte, einen Film über sie zu drehen. Waldbauer fügt hinzu, dass er selbst alleinerziehend sei und seine persönlichen Erfahrungen in dieser Rolle die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten für ihn besonders interessant machten.
„Die beiden reden die ganze Zeit über ihr Tun, ihren Kosmos“, erklärt Antje Schneider. Daher wurden die filmischen Beobachtungen durch Interviews ergänzt, um tiefer in die Gedankenwelt der Prot agonisten einzutauchen. Auch gab es die Herausforderung, dass viele Szenen auf dem Pferd stattfinden, was die Dreharbeiten für den filmenden Waldbauer, aufgrund unterschiedlicher Höhen, erschwerte.
Bei der Rohschnittsichtung wird diskutiert, ob Steffens Träume auch die seines Sohnes Günni sind. In Szenen, in denen Günni allein agiert, zeigt er mehr Selbstbewusstsein und Freude an seinen Tätigkeiten. Er wirkt authentisch, während Steffen gemischte Gefühle bei der doku.klasse hervorruft. Günni zieht sich in einigen Szenen zurück, wenn Steffen in die Beantwortung einer Interviewfrage einsteigt. Die Vater-Sohn-Beziehung ist von zunehmender Reibung und leiser Rivalität geprägt. Die Frage nach Bildern, die mögliche Abnabelungsprozesse zeigen, wird aufgeworfen. Dazu würden eigene Hobbies und Zeit ohne Vater gehören.
Die doku.klasse hinterfragt kritisch die DJ-Szene am Ende des Films, da sie scheinbar nicht nahtlos integriert ist. Vorhandenes Material gibt Einblicke, insbesondere wenn man Günni leidenschaftlich am DJ-Pult beobachtet. Eine Welt unter Kopfhörern, zu der sein Vater keinen Zugang hat. Schneider und Waldbauer sind unsicher, ob dieses Material im finalen Film verbleiben sollte, da Günni das ursprüngliche Ziel nicht weiterverfolgt hat. Möglicherweise spiegeln die Bilder nicht mehr sein aktuelles Selbst. Während der Drehzeit blieb kein Raum für sein musikalisches Interesse und Günnis unbeschwerte Leichtigkeit wich einem zunehmenden Verantwortungsbewusstsein für die Finanzen und den Hof. Ist damit die Abnabelung gelungen? Sonntags unbeschwert ein Eis zu genießen ist ein Wunsch von Günni, doch bei so viel Verantwortung und Arbeit nicht so einfach machbar.
Und wo sind die Frauen? Das Fehlen von Frauenfiguren im Film wurde als mögliche Spiegelung der Welt von Günni und Steffen interpretiert, in der Frauen keinen festen Platz zu haben scheinen. Schneider berichtet, dass es im Leben von Günni zwar Freundinnen gab, diese jedoch in seinem Alltag keine feste Verankerung fanden. Neben dem raumeinnehmenden Hobby und den verschiedenen Unternehmen bleibt keine Zeit. Eine lebhafte Diskussion entfachte sich um den Titel des Films. Schneider und Waldbauer erwogen „Vaterland“ oder „Vatersland“, was die Frage aufwirft, ob Günni jemals ein eigenständiges Leben führen wird oder aus Interesse oder Verantwortungsbewusstsein in die Fußstapfen des Vaters tritt.
Diese Allianz bringt nichts auseinander. So scheint es zumindest. Derselbe Look, dieselbe Leidenschaft. Zwei Cowboys in der ostdeutschen Provinz: Steffen und Günni, Vater und Sohn. Bei der Vorführung von „Vaterland“ im Duisburger Filmforum konnten die beiden Protagonisten leider nicht persönlich dabei sein. Zu beschäftigt sind sie mit dem Betrieb ihrer Ranch, der keine Reise ins Ruhrgebiet zuließ.
Das wird auch im Film von Antje Schneider und Carsten Waldbauer sichtbar. Steffen und Günni sind pausenlos im Einsatz. Sie müssen die Pferde und ihre anderen Tiere versorgen und den Unterricht für ihre Schüler*innen organisieren, die sie mit dem Lasso auf Rinderjagd schicken. Dazu kommen ihr eigenes Training und die internationalen Roping Turniere, an denen sie teilnehmen. Und auch hier ist das Duo mit Herausforderungen konfrontiert: Bei einem Wettbewerb verletzt sich eines der Pferde und humpelt aus der Arena. Ein Schreckmoment, nicht nur wegen der sicher geglaubten Siegesprämie, die bereits in den Gesamthaushalt des Vater-Sohn-Unternehmens eingepreist ist.
„Vaterland“ ist ein kurzweiliges, dicht erzähltes Porträt. Aber wie kam es eigentlich zu dem Titel „Vaterland“, will ein Zuschauer wissen. „Als wir Steffen und Günni kennenlernten“, antwortete Antje Schneider, „haben wir uns gefragt, ob so ein Junge ein eigenes Leben hat. Er lebt ja sozusagen auf Vaters Land. Kommt er da jemals raus?“ Das Votum im vollen Kinosaal, in dem neben den 3satRedakteur*innen Nicole Baum, Daniel Schössler und Udo Bremer zahlreiche Schüler*innen des Steinbart Gymnasiums in Duisburg sowie des Gymnasiums in den Filder Benden in Moers saßen, fiel eindeutig aus: Günni wirke wie jemand, der aus freien Stücken sein Leben auf seines „Vaters Land“ verbringt. Keine Spur von Frust oder gar Zwang. In diesem Punkt unterscheiden sich Film und Konzept. Im Exposé, das 2022 in der doku.klasse diskutiert wurde, war eine wachsende Entfremdung zwischen Vater und Sohn angelegt. Günni hat darin eine Freundin, die seine Aufmerksamkeit vom Hof abzieht. Zudem werden seine Ambitionen als DJ erzählt, die ein Konfliktfeld zwischen Turntables und Trainingsplatz aufmachen. Aber weder die Beziehung noch die Platten kommen im fertigen Film vor. Für Antje Schneider und Carsten Waldbauer hatte das rein praktische Gründe: „Es gab Freundinnen im Leben von Günni, aber sie haben keinen wirklichen Platz, so sehr er sich das vielleicht wünschen würde. Das gleiche gilt für sein musikalisches Interesse. Er kam während der Drehzeit einfach nicht zum Auflegen. Die Unbeschwertheit, die Günni hatte, als wir ihn vor ein paar Jahren kennenlernten, ist weg. Stattdessen hat sich in ihm die Verantwortung für den Hof verfestigt.“
Ganz ohne Musik bleibt Günni aber nicht. Immer wieder summt und singt er einen alten Deep-Purple-Song. Eher ungewöhnlich für jemanden in seiner Generation, findet eine der Lehrerinnen im Publikum. Was es damit auf sich habe. Das käme aus seiner Kindheit, antworten Schneider und Waldbauer: „Das ist bei Günni hängengeblieben.“
Ungefähr 150 Stunden Material haben die beiden Filmemacher*innen gedreht und daraus 45 Minuten kondensiert. Einige Szenen, die noch in früheren Fassungen vorhanden waren, haben es nicht in den finalen Film geschafft. Moderatorin Aycha Riffi erinnert sich aus der Rohschnittsichtung mit der doku.klasse zum Beispiel an Zeitlupenaufnahmen.
Waldbauer: „Die haben wir wieder herausgeschnitten, weil sie mit dem Alltag der zwei nichts zu tun gehabt haben.“ Warum Steffen und Günni eigentlich bei dem Film mitgemacht hätten, fragt das Publikum. Eindeutige Antwort der Macher*innen: Weil sie gerne im Rampenlicht stehen. „Sie suchen in ihrem Sport eine Bühne.“ Eine Sorge von Schneider und Waldbauer war es, ob sie eben diesen Sport in ihren Aufnahmen auch korrekt abbilden. Entsprechend groß war die Nervosität, als sie den beiden Protagonisten eine vorläufige Fassung von Vaterland zeigten. „Steffen und Günni schienen aber in erster Linie überwältigt gewesen zu sein von sich und beschäftigten sich beim Schauen kaum mit Ropingtechnischen Fragen. Nur die Einstellung eines steigenden Pferdes ganz am Anfang nahmen wir auf ihren Wunsch wieder heraus. Die sah zwar cool aus, war fachlich aber falsch.“
Ganz begeistert waren die beiden Stipendiat*innen von ihrem Workshop in Duisburg. „Diese doku.klasse ist etwas Großartiges“, schwärmte Antje Schneider. „Die Gespräche und Diskussionen mit den Teilnehmer*innen haben riesigen Spaß gemacht. Und sie haben uns tatsächlich bei ganz vielen Fragen, die wir selbst an das Projekt hatten, geholfen.“