Auf Tauchstation „Das ist eine Geschichte, die es total wert ist, erzählt zu werden“, bekräftigt eine Teilnehmerin der doku.klasse am Endes des Treffens mit Regisseur Florian Baron und spricht damit wohl der gesamten Gruppe aus der Seele. Die doku.klasse trifft sich diesmal schon zu einem ganz frühen Zeitpunkt des Filmprozesses mit Florian, um über sein neues Projekt „Speara“ zu sprechen.
Ohne Sauerstoffflasche und nur mit einer Harpune macht sich Mitsuki auf die Jagd. Aufgewachsen in Japan, lebt die 26-jährige Meeresbiologie-Studentin seit einigen Jahren in Kalifornien und hat sich vom Newbie zur Weltrekordhalterin im Speerfischen entwickelt. Sie ist eine von wenigen Frauen in diesem Sport, der in den USA häufig von Ex-Soldaten ausgeübt wird. Für Mitsuki ist das Speerfischen weniger ein Wettbewerb als eine Lebenseinstellung. Als Kind wäre sie bei einem Schwimmunfall fast ertrunken und hielt sich danach bis zu ihrem 21. Lebensjahr vom Wasser fern. Auf Social Media weist sie auf die Effekte des Klimawandels hin und zeigt, wie man Fische voll verwertet. Das Porträt einer beeindruckenden jungen Frau, die dazu anregt, sich mit Fragen von Identität, Kultur und Geschlechterrollen auseinanderzusetzen.
Florian ist kein Unbekannter für die doku.klasse, denn sein Film „Joe Boots“ wurde bereits 2016 in der doku.klasse und dann im doxs! Festivalprogramm gezeigt. Man merkt, dass sich alle über das erneute Wiedersehen freuen und dass es heute nicht nur um das neue Filmprojekt gehen soll, sondern auch um Florians frühere Projekte und seine Herangehensweise an Dokumentarfilme. Er berichtet von seinem Bezug zu Japan, dem Land, in dem er nach dem Abitur einige Zeit gelebt hat und wo sein erster Dokumentarfilm entstanden ist. „The Video Market“ (2008), der die Verkäufer*innen auf einem Markt in Japan in den Fokus nimmt, wird bei der doku.klasse nochmal gezeigt und diskutiert. Für seine persönliche Entwicklung sei dieser Dreh sehr wichtig gewesen, erzählt Florian:
„Das war für mich wie ein Extremkurs Dokumentarfilm“
Die Teilnehmenden sind insbesondere davon fasziniert, wie der Prozess des Dokumentarfilmens selbst total transparent gemacht wird. Anschließend steht der Kurzfilm „Joe Boots“ im Fokus. Die ersten Reaktionen nach dem Sichten machen deutlich, dass es sich hier um einen ganz besonderen Film handelt. „Der geht richtig an die Nieren“, stellt eine Teilnehmerin fest. Joe Boots, der titelgebende Protagonist, ist ein amerikanischer Veteran, der an PTSD (Postraumatische Belastungsstörung) leidet. Die besondere Kraft des Films entfaltet sich durch die außergewöhnliche Narration von Joe, aber auch durch die immersiven Slow-Motion-Bilder, die Florian und sein Drehpartner Johannes Waltermann eingebaut haben.
Anhand von „Joe Boots“ debattiert die doku.klasse länger über die Bedeutung der Beziehung zwischen dem Filmschaffenden und dem Protagonisten. Gerade beim Dokumentarfilm ist dies ein ganz wichtiger Aspekt, da sind sich alle einig. Auch Florian erzählt, wie sich das Verhältnis im Laufe der Zeit gewandelt hat – inzwischen sind er und Joe quasi befreundet und waren gemeinsam auf Festivaltour. Das Kennenlernen von potenziellen Protagonist*innen sei immer etwas ganz Besonderes, so Florian – „denn keine zwei Protagonist*innen sind gleich“. An dieser Stelle wendet sich die doku.klasse dem neuen Filmprojekt zu, das Florian und Johannes gerade planen.
„Speara“, so lautet der aktuelle Arbeitstitel, die weibliche Bezeichnung eines Speerfischers. Und darum soll es auch gehen, um Mitsuki, eine Weltrekordhalterin im Speerfischen, die aus Japan kommt und in Los Angeles lebt. Florian berichtet, wie er über einen Zeitungsartikel auf Mitsuki aufmerksam geworden ist und sie dann über Instagram kontaktiert hat. Die Unterwasserwelt habe ihn schon immer fasziniert und Mitsuki als Protagonistin scheint für ihn viele spannende Aspekte zu vereinen: Was es bedeutet, sich als Frau in einer Männerdomäne zu beweisen, wie es ist, als Japanerin in Amerika zu leben und was das Speerfischen als nachhaltige Fischerei mit Klimawandel und Umweltschutz zu tun hat. Beim ersten Treffen hätten sie sich sofort verstanden, sogar absurde Gemeinsamkeiten festgestellt: So, wie Florian nach dem Abitur unbedingt aus Deutschland wegwollte und nach Japan gegangen ist, wollte Mitsuki unbedingt aus den Wertvorstellungen Japans ausbrechen und nach Amerika gehen. „Sie meinte dann beim Gespräch: Komm mit tauchen!“, und so konnte Florian Mitsuki beim Tauchen begleiten und Material für einen Teaser sammeln, den die doku.klasse gemeinsam schaut. Alle nehmen eine besondere Stimmung durch die Wasseraufnahmen wahr und es wird viel darüber diskutiert, wie sich die Unterwasserszenen beim tatsächlichen Dreh praktisch umsetzen lassen – schließlich sind weder Florian noch Johannes Taucher. Tatsächlich hätten sie aber bereits mit einem Tauchkurs begonnen, erzählt Florian. Außerdem geht es um die gesprochene Sprache in den Interviews. Es gäbe die Möglichkeit, mit Mitsuki auf Englisch oder Japanisch zu sprechen. Die doku.klasse ist sich einig, dass die Protagonistin selbst entscheiden sollte, mit welcher Sprache sie sich am wohlsten fühlt.
Die doku.klasse ist sehr gespannt, mehr von „Speara“ zu sehen und freut sich auf die Rohschnittsichtung, die vielleicht schon im nächsten Jahr stattfinden wird.