Eine Filmkritik von Delia West zu Shaheen Dill-Riazs Dokumentarfilm „Der Vorführer“ – entstanden in der 3sat-Reihe „Fremde Kinder“
Erzählt wird die Geschichte von dem 8-jährigen Rakib aus Bangladesh. Weil sein älterer Bruder nicht arbeiten geht, sondern lieber mit Freunden unterwegs ist, schuftet Rakib abends im örtlichen Kino seines Onkels als Filmvorführer.
Ein zentrales Mittel, welchem sich der Filmemacher Shaheen Dill-Riaz bedient, ist die Zusammenführung von Rakibs Gedanken und der im Kino zu sehenden Bollywood-Filmausschnitte. Man merkt deutlich, dass der junge Protagonist in die Traumwelt der Lieder eintaucht und gerne die Rolle der Schauspieler einnehmen würde. Die meisten Songs kann er sogar auswendig mitsingen. Der Hauptdarsteller seines Lieblingsfilms stellt für Rakib eine Art Idol dar, der ihn durch anstrengende Abende im Kino trägt. Der Kontrast zwischen der glitzernden Bollywood-Welt, in die er sich gerne wünscht, und seiner eigenen ist groß. Aber Rakib hat Träume: Nach der Schule würde er gerne nach Italien gehen. Er hat gehört, dass es dort sehr schön sein soll.
25 Taka erhält Rakib für einen Abend im Kino. Das sind umgerechnet gerade einmal 0,30 €. Gemessen an europäischen Verhältnissen erscheint der Lohn wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Für Rakib und seine Familie bedeutet das Geld jedoch viel. So absurd es klingt: Mit seiner Arbeit im Kino trägt der kleine Junge zum Lebensunterhalt der Familie bei. Und Rakib ist sich dessen bewusst: „Der Kleine muss den Großen füttern. Wer essen will, muss arbeiten!“, sagt er, als sein Bruder auch etwas vom Essen bekommen möchte. Erschreckend, wie erwachsen und zugleich wahr seine Aussage ist. Es stellt sich das Gefühl ein, dass der Begriff Kindheit in seinem Leben eine untergeordnete Rolle spielt und er schon jetzt häufig das Verhalten eines Erwachsenen annimmt. In anderen Szenen hingegen merkt man deutlich das Kind in ihm. Bei einer Auseinandersetzung mit seiner Mutter beginnt er beispielsweise plötzlich wie ein kleines Kind an zu weinen.
Eine zusätzliche Belastung stellt zudem die Sehnsucht nach seinem Vater dar. Dieser schenkt ihm wenig bis keine Beachtung und Rakib fühlt sich einmal mehr alleine gelassen. Den einzigen Halt bietet ihm seine Mutter. Sein Bruder wirkt ebenso undankbar wie verantwortungslos in Bezug auf seine Familie. Er weigert sich beispielsweise Rakibs Schicht im Kino am Abend zu übernehmen, obwohl dieser den weiten Weg zum Markt angetreten hat, um Essen zu besorgen.
Der Film von Shaheen Dill-Riaz erzählt diese von Sehnsucht und Konflikt geprägte Geschichte ehrlich und authentisch. Insbesondere wird dies an den Szenen deutlich, in denen die Beziehung zwischen Mutter und Sohn thematisiert wird. Dazu bedarf es keiner außergewöhnlichen Bildsprache. In diesem Fall reicht der Einblick in das Leben des Protagonisten, um Emotionen zu vermitteln. Nicht zuletzt deshalb wurde der Film 2012 von der Jugendjury der GROSSEN KLAPPE zum Gewinner gekürt.
Rakib opfert seine Kindheit für die Familie und gewährt uns einen Einblick in das Leben eines selbstlosen und verträumten Jungen aus Bangladesh.
Ich hoffe, dass die Welt der Bollywood-Filme nicht länger Teil seiner Fantasie bleiben muss und die Realität viele Wege in der Zukunft für ihn bereit hält, um ein glückliches Leben zu führen.
Der Film ist derzeit in der 3sat-Mediathek zu sehen.