Mitmischen statt außen vor sein: Das wünschen sich Kinder und Jugendliche in vielen Bereichen – auch im Dokumentarfilm. Mit der doku.klasse lotet das Duisburger Festival doxs! den partizipativen Spielraum zwischen jungen Zuschauern, Filmemachern sowie Redakteuren neu aus. In einer Kölner Gesprächsrunde stellten die Initiatoren ihr Vorhaben gemeinsam mit den Projektpartnern ZDF/3sat, der Grimme-Akademie und der FSF Berlin zur Diskussion.
Von Alexander Scholz
Der Dialog steht im Vordergrund. Allerorten wird Feedback gegeben, Supervision und Evaluation betrieben, über Geschmäcker abgestimmt und die je aktuelle Gemütslage öffentlich vermeldet – ein gesellschaftliches Phänomen, das über alle Mediengrenzen hinweg virulent ist. Zwar gilt das Internet zumeist als sein Initiator, weil technischer Beschleuniger, aber auch das Kino und vor allem das Fernsehen sind davon geprägt. Partizipation, die gewünschte und geförderte Teilhabe an etwas, ist ein omnipräsenter Prozess, der große Teile unseres Alltags strukturiert.
Für den Dokumentarfilm ist es deshalb gleich doppelt naheliegend, sich mit Partizipation auseinanderzusetzen. Einerseits in der Rolle des wachsamen Beobachters dieser sozialen Verfahren, andererseits als Forum ihrer Anwendung. Beim Dokumentarfilm für und über Kinder scheint es schwierig, diese beiden Ansätze überhaupt auseinanderzuhalten: Wer sich einer Generation authentisch nähern will, für die ständige Rückmeldung und Kommunikationsbereitschaft selbstverständlich ist, der sollte den Gedankenaustausch mit den Kindern und Jugendlichen suchen – das heißt: sie ernst nehmen.
Erfahrungen ins Kinderzimmer übertragen
Beim Europäischem Symposium Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche, das vom 11. bis 13. September 2014 im Filmforum im Kölner Museum Ludwig stattfand, spielte eben diese Einsicht eine wichtige Rolle. Folgerichtig wurde auf und vor der Bühne über Partizipation im TV-Dokumentarfilm in den Dialog getreten. „Jugendliche Ausstrahlung reicht nicht mehr“: Bereits der mehrdeutige Titel des von doxs! gestalteten Diskussionspanels zeigte an, dass Handlungsbedarf bei der Heranführung von Jugendlichen an die Kunst des Dokumentarischen im Fernsehen besteht. Denn während im Rahmen von Filmfestivals das rege Interesse Heranwachsender am Dokumentarfilm kaum zu übersehen ist, stellt sich die Frage, wie man solch positive Erfahrungen aus dem Kino in das heimische Wohn- und Kinderzimmer bringen kann. Oder wie ein Teilnehmer des Symposiums es prägnant formuliert: „Wie kann man den anspruchsvollen Dokumentarfilm vor der Fernbedienung schützen?“
Ein einsetzender Sinneswandel bei Filmemachern und Sendeanstalten zeitigt diese Antwort: Man will nicht mehr allein im kessen Gewand der Jugend daherkommen, sondern tatsächlich an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen teilhaben – freilich nicht ganz uneigennützig. Delia West, als jugendliche Teilnehmerin des Panel gewissermaßen Vertreterin der erhofften Dialogpartner, bringt ihre eigene Relevanz lakonisch auf den Punkt: „Wie soll ein Filmemacher denn wissen, was wir denken, wenn er nicht mit uns redet?“
Partizipation zwischen Teilhabe und Preisgabe
Nun ging es in Köln aber nicht darum, den Dialog mit den jungen Zuschauern auf der Bühne des Filmforums zu eröffnen, sondern sich zunächst darüber klar zu werden, wie dieser überhaupt geführt werden kann. Während man sich in der Diskussionsrunde schnell einig ist, dass Partizipation der Schlüssel zu neuen Seherlebnissen auf verschiedenen Plattformen sein kann, ergibt sich rasch die Notwendigkeit, sich über den Gegenstand genauer zu verständigen.
„Der Begriff der Partizipation ist grundsätzlich positiv besetzt. Man muss diese Erwartungen auf den Boden holen.“ (Dr. Frauke Gerlach)
Über die von Moderator Christian Popp vorgebrachte Minimaldefinition von Partizipation als „Teilnahme am kreativen Prozess“ hinaus, findet das von Filmemacher Calle Overweg umformulierte Bonmot Karl Valentins einige Zustimmung: „Partizipation ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Overweg meint damit vor allem die direkte Teilhabe der Jugendlichen am Entstehen der Bilder. Einerseits würden besonders authentische Bilder entstehen, wenn der Regisseur die Kamera an seine Protagonisten weitergebe und auf deren Lust zur dokumentarischen Arbeit vertraue. Andererseits erfordere diese Form der „Partisanenkamera“ viel Geduld und Risikobereitschaft vom Filmemacher – ganz zu Schweigen von der aufwändigen Nachbearbeitung.
„Die doku.klasse ist ein Resonanzraum für unsere Arbeit. Die Rollenverteilung
zwischen Redaktion und Zuschauer aber bleibt.“ (Katya Mader)
Auch aus redaktioneller Sicht hat eine solche dokumentarische Teilnahme am Leben der Protagonisten Konsequenzen, sekundiert Katya Mader, Redakteurin bei ZDF und 3sat. Gerade bei der 3sat Reihe „Ab 18!“ habe sie die Erfahrung gemacht, dass man Jugendliche oft vor der Kamera und vor sich selbst schützen müsse – die Risiken der mitteilsamen Vernetzung müssten stets mitgedacht werden.
Formensuche hinter der Kamera
Wer will schon Jahre später vor aller Welt ausbreiten, „was man im Alter von vierzehn Jahren so getrieben hat.“ Die Direktorin des Grimme-Instituts Dr. Frauke Gerlach jedenfalls nicht. Sie ist jedoch fest davon überzeugt, dass viel zu gewinnen sei, wenn „die Brille einer Dokumentation von ihren Protagonisten mit geschliffen wird.“ Deshalb müsse man gar nicht unbedingt das Heft und die Kamera aus der Hand geben. Projekte wie die doku.klasse, bei der Jugendliche während der Stoffentwicklung in die Gestaltung verschiedener Dokumentationen eingebunden werden, sei ein gutes Beispiel für einen mutigen Ansatz, der Kindern und Jugendlichen „auf Augenhöhe“ begegne. Gerade das Internet biete die Möglichkeit, relativ einfach Strukturen für Partizipation mit bestimmten Spielregeln zu schaffen. Hier sei es wichtig, nicht eine „Voting-Mentalität“ zu bedienen, sondern ernsthaft miteinander ins Gespräch zu kommen.
„Der Zuschauer war lange die große Unbekannte. Das verändert sich mit den neuen technischen Möglichkeiten.“ (Christian Popp)
Beispielhaft schlägt Christian Popp einen „Co-Regie-Vertrag“ als weitreichende Einflussnahme der Kinder und Jugendlichen im filmischen Prozess vor – und trifft auf Vorbehalte. Die „klassische Rollenverteilung“ zwischen Redaktion und Zuschauer, sagt Katya Mader, möchte sie nicht aufgehoben wissen, da gerade das Fernsehen auch ältere Zuschauergruppen nicht verprellen darf. Mit dem Vorschlag von Frauke Gerlach, einen Mittelweg des Experimentierens mit Typen der Partizipation über traditionelle Fernsehformate hinweg in Richtung digitaler Vernetzung zu beschreiten, können sich am Ende alle Gesprächsteilnehmer anfreunden.
Die Vorstellung eines neuen Jugendkanals, der ein Labor für verschiedene Modelle der Ausstrahlung sein könnte, taucht deshalb auch immer wieder am Horizont der Diskussion auf. Der Wunsch nach einem „Freifeld für Formen der Beteiligung“, wie Calle Overweg es nennt, scheint ebenso präsent wie der Wunsch der Jugendlichen, Partner bei der Suche nach diesen Formen zu sein – im Alltag und im Dokumentarfilm.