Kilian Helmbrechts zweiter doku.klasse-Stoff handelt von einer Odyssee auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Das Treatment liefert mehrere Szenarien und Optionen, wie sich die Suche gestalten könnte. Ein Kernelement des dokumentarischen Arbeitens wird hier bereits offengelegt.
Auf die Frage, wie er mit der Ungewissheit beim Filmemachen umgeht, antwortet Kilian selbstbewusst: „Ich muss mir die Erlaubnis geben zu scheitern.“ Sein Projekt Gesundbrunnen” erfordert eine große Flexibilität, denn es ist unklar, wie schnell sein Protagonist nach dem Studium eine Wohnung finden wird. Die Aussichten sind eher schlecht: 500 Euro für 8 Quadratmeter. Die explodierenden Mietpreise und der knappe Wohnraum machen es fast unmöglich, in Großstädten bezahlbar leben zu können. Das Thema findet sofort großen Anklang in der doku.klasse. Auch wenn man nicht wie Raffly in Berlin wohnt, sei die Geschichte total nachvollziehbar. Die Teilnehmer*innen berichten von ihren eigenen Erfahrungen bei WG-Castings und enttäuschenden Besichtigungen.
Einige können auch bestätigen, dass es mit einem nicht deutsch klingenden Namen schwieriger sei, eine positive Rückmeldung zu bekommen. Diese zusätzlichen Hürden und der Alltagsrassismus zwingen Raffly verschiedene Strategien der Anpassung zu entwickeln. Er wechselt zwischen verschiedenen Persönlichkeiten in der Uni, seiner indonesischen Familie, der muslimischen Gemeinde, in seinem Berliner Freundeskreis oder in Bewerbungskontexten. Laut Regisseur sollen diese Diskrepanzen sichtbar, aber nicht zur Schau gestellt werden. Besonders wichtig ist Kilian Helmbrecht die Frage nach der Repräsentation. Da sein Blick auf den “echten” Raffly immer verstellt sei, will er ihn dazu selbst befragen und zu Wort kommen lassen.
Die doku.klasse erhält die Möglichkeit, erste Aufnahmen zu sichten, wie Raffly sich in seinem Studentenheim einrichtet. Das Publikum beobachtet ihn beim Auspacken der Matratze oder auch wenn Kilian ihm das Mikrofon ansteckt. Seine Fragen an Raffly sind aus dem Off hörbar. Gemeinsam bespricht die doku.klasse die Präsenz von Filmemacher*innen im Dokumentarfilm. Im Gegensatz zur beobachtenden Kamera, als Fliege an der Wand, soll die Kamera in dem Stoff nicht verborgen bleiben. Der Filmemacher ist inspiriert vom Cinema verité und möchte die eigene Präsenz im Film transparent machen. Er verweist in dem Kontext auf den Dokumentarfilm NO FUTURE – Kein Bock auf Illusionen (1981) von Michael Braun. Darin werden Punks in Duisburg und ihr Umfeld auf authentische Weise porträtiert, während der Regisseur selbst im Bild zu sehen. Für Kilian Helmbrecht bedeutet das, dass initiierte Momente miterzählt und keinesfalls kaschiert werden. So soll etwa transparent gemacht werden, wenn das Filmteam ins Geschehen eingreift und fragt, ob es beim WG-Casting dabei sein und filmen darf. Die doku.klasse hinterfragt dabei, ob die Präsenz der Kamera nicht einen Einfluss auf Rafflys Chancen bei der Wohnungssuche haben könnte, findet den transparenten Umgang aber sehr positiv.
Verständnis gegenüber den Protagonisten aufzubringen, lernte Kilian Helmbrecht unter anderem bei den Dreharbeiten zu Einmannland, der 2016 in der doku.klasse besprochen wurde. Die Erfahrung, in dem Film selbst Protagonist gewesen zu sein, helfe ihm, Respekt vor den Protagonist*innen zu haben. Die doku.klasse bleibt gespannt auf das Ergebnis und wünscht Raffly viel Erfolg für sein kompliziertes Vorhaben.