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Junge Menschen sind neugierig gegenüber Filmen über ihre Lebenswirklichkeit

doku.klasse

Mit dem Namen „doku.klasse“ hat das Festival „doxs! dokumentarfilme für kinder und jugendliche“, Duisburg, ge­meinsam mit ZDF/3sat ein neues Pro­jekt gestartet.

Gudrun Sommer, Leiterin der Sektion doxs! bei der Duisburger Filmwoche, und Katya Mader, Filmredaktion 3sat/ZDFkultur, beantworteten hierzu Fragen der KJK-Redaktion.

KJK: Wie kann das Interesse junger Zuschauer verstärkt für Dokumentarfilme in Kino und Fernsehen geweckt werden?

Gudrun Sommer: Nach 13 Jahren doxs! würde ich sagen, es geht gar nicht primär darum, Inte­resse zu wecken – das ist vorhanden. Junge Men­schen sind neugierig gegenüber Filmen, die von ihrer Lebenswirklichkeit erzählen. Aber nur ein Bruchteil dokumentarischer Spielarten ist bei jungen Menschen bekannt – in der Regel Ge­schichts-, Natur- und Tierdokumentationen. Viele Jugendliche entdecken bei uns zum ersten Mal Filme, die soziale oder persönliche Themen der Gegenwart verhandeln und trotzdem nicht fiktive Geschichten erzählen. Produktionen, die im Kino kaum und im Fernsehen nur gut ver­steckt zu sehen sind. Das ist der Kern des Prob­lems: Das Interesse trifft auf kein Angebot. Wie viele Dokumentarfilme, die sich explizit an Jugendliche richten, finden den Weg ins Kino? Im Fernsehen wiederum ist es die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Hier gibt es ein Informa­tionsdefizit, aber auch ein Image­problem derje­nigen Sender, die bereits jetzt ansprechendes Programm für junge Menschen anbieten.

Katya Mader: Dem kann ich mich nur anschlie­ßen. Im 3sat-Programm sind immer wieder Do­kumentarfilme jenseits der Fernsehnorm zu sehen – sprich Autorenfilme, die nicht vorwie­gend auf Information oder Unterhaltung abzie­len, sondern einem Thema das Gestaltungsbe­wusstsein eines Filmemachers entgegensetzen und die bei jungen Zuschauern durchaus auf Interesse stoßen. Das zeigt sich beispielsweise auf Filmfestivals, die sich bei einem jungen Pub­likum wachsender Beliebtheit erfreuen. Auch im Programm von ZDFkultur, das sich explizit an ein junges Publikum richtet, gibt es lange Stre­cken mit Dokumentarfilmen – nicht ohne Er­folg. Aus dieser Produktionserfahrung für 3sat, den Programmierungsexperimenten in ZDF­kultur und aus der Debatte um einen Ju­gend­kanal heraus haben wir die Reihe „Ab 18!“ ent­wickelt, die sich in Form von 30- bis 45-mi­nüti­gen Autorenfilmen jungen Lebenswelten wid­met. Im dritten Jahr haben wir uns nun mit den Kollegen von doxs! zusammengetan, um dem Projekt mit der „doku.klasse“ eine medien­päda­gogische und partizipative Dimension zu geben.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff „doku.klasse“?

Gudrun Sommer: Die Grundidee ist einfach: Dokumentarfilmer tau­schen sich mit Jugendli­chen über ein konkretes Filmprojekt aus – direkt und unmittelbar. Der Begriff ist bewusst ge­wählt in Anlehnung an künstlerische Kontexte wie „Filmklassen“ oder „Ateliers“, um zu ver­mitteln, dass es um eine offene kreative Begeg­nung geht – und nicht um vordergründige Test­sichtungen mit den Zu­schauern. Für die Jugend­lichen ist es spannend, ein Dokumentarfilmpro­jekt in einem derart frühen Stadium kennenzu­lernen. Für Filmema­cher wiederum kann die doku.klasse Inspiration und Anregung sein.

Welche Ziele haben Sie sich mit diesem Projekt gesteckt?

Gudrun Sommer: Wir verstehen die doku.klasse als Qualifizierungstandem, von dem alle Teil­nehmer profitieren: Dokumentarfilmer können in einen intensiven Dialog mit dem jungen Pub­likum treten, und die Jugendlichen bekommen einen außergewöhnlichen Einblick in kreative Entscheidungen und Prozesse. Die Verknüpfung von Rezeption und Produktion war die Grund­idee von dok.you, und die doku.klasse ist eine konsequente Weiterentwicklung dieses Kon­zepts. Im Kontext der Jugendkanal-Debatte sehen wir die doku.klasse auch als Labor. Schließlich geht es um die Frage, wie es gelingen kann, intelligente Formen der Partizipation und Zuschauerbindung zu entwickeln. Ein Fernse­hen für Jugendliche, das nicht auch mit Jugend­lichen gemacht wird, ist in Zeiten des web 2.0 kaum vorstellbar. Wie also müssen Interaktions­räume zwischen Sendern und Publikum gestaltet sein, die einen qualitativen Austausch ermögli­chen und über ein „Gefällt mir“ hinausgehen?

Katya Mader: Für uns als programmbildende Fernseh-Redaktion ist die doku.klasse ein ein­zigartiges Forum, durch das wir Rückmeldung von jungen Zuschauern bekommen, die sich mit unserer Arbeit auseinandersetzen. Ein solches Feedback, das in einem geschützten Raum ent­steht, der die Möglichkeit einer wirklich inten­siven Befassung bietet, steht uns sonst selten zur Verfügung. Und natürlich erhoffen wir uns, Schritt für Schritt bei der heranwachsenden Generation ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was im öffentlich-rechtlichen Fernsehen mög­lich und zu entdecken ist.

Wie sieht die praktische Arbeit aus?

Gudrun Sommer: Wir starten mit Workshops, in denen die Jugendlichen auf die Diskussion der Treatments vorbereitet werden. Gemeinsam mit der FSF Berlin und der Grimme-Akademie möchten wir sie für diesen frühen Prozess der Entstehung eines Dokumentarfilms sensibilisie­ren und anhand von abgeschlossenen Projekten Exposés und Filme vergleichen, aber auch die Kriterien für die Einschätzung eines Treatments erarbeiten. Im Anschluss werden die Stoffe der doku.klasse-Stipendiaten gemeinsam gelesen und mit den Filmemachern innerhalb der Gruppe diskutiert.

Wann und wo werden die Ergebnisse zu sehen sein?

Gudrun Sommer: Die Workshops finden im Oktober 2014 statt, ab Herbst wird das Projekt online begleitet. Für das Festival im No­vember planen wir eine Veranstaltung, die den künstle­rischen Prozess vom Treatment zum realisierten Dokumentarfilm in den Fokus nimmt. Dabei sprechen wir mit den Teilneh­mern der doku.klasse über die Spielarten dokumentari­scher Inszenierung, auch in Ab­grenzung zu fiktionalen Formen wie Scripted Reality.

Katya Mader: Fertige Filme der zweiten Staffel von „Ab 18!“ haben im Oktober einen Sende­platz im 3sat-TV-Programm sowie in der 3sat-Mediathek. Die Produktionen, die im Rahmen der doku.klasse diskutiert werden, sind im Herbst 2015 im Fernsehen zu sehen.

Quelle:
KINDER- UND JUGENDFILM KORRESPONDENZ (KJK), Nr. 139, 3/2014, S. 24-27