Jung & Wild sind die 18 Teilnehmer*innen der doku.klasse 2020, zwischen 18 und 28 Jahren alt, haben Lust auf Dokumentarfilme, wollen darüber sprechen und sind neugierig auf die, die die Filme machen. Jihad Azahrai (24) ist schon mehrfach dabei gewesen, für Pia Nelles (22) ist 2020 das erste Mal. Moderator Dirk Ulrich will wissen, was sie an der doku.klasse reizt.
Dirk: Was euch miteinander verbindet, ist das gemeinsame Interesse an dokumentarischen Stoffen. Wie seid ihr dazu gekommen, euch mit dokumentarischen Stoffen auseinanderzusetzen?
Pia: Mir ist aufgefallen, dass ich in den letzten Jahren immer mehr Dokumentarfilme, Reportagen oder Dokus konsumiert habe. Im Alltag schau ich sehr häufig Beiträge von verschiedenen Accounts von funk. Mit doxs! und der doku.klasse habe ich dann die Möglichkeit gefunden, mich mal bewusst mit diesen Stoffen auseinanderzusetzen und die nicht immer nur beiläufig zu konsumieren.
Jihad: Für mich hat es mit der GROSSEN KLAPPE, der Jugendjury von doxs!, angefangen. Da bin ich das erste Mal richtig in Berührung mit diesen Stoffen und auch den Diskussionen gekommen. Das hat mir dann die Welt in diese Richtung geöffnet. Inzwischen habe ich sogar einen Dokumentarfilm in meine Bachelorarbeit mit einbezogen.
Dirk: Die Filmemacher*innen sind nach den Atelier-Gesprächen mit euch immer begeistert von den Diskussionen und auch von eurer klaren und differenzierten Haltung. Wie bereitet ihr euch auf ein Gespräch in der doku.klasse vor? Wie geht ihr an die Exposés der Filmemacher*innen ran?
Jihad: Ich gehe sehr offen an die Exposés. Ich versuche mir alles sehr bildlich vorzustellen und frage mich, wie weit der Text filmisch realisierbar ist. Ich mache mir Notizen und schreibe mir Fragen auf.
Pia: Ich versuche auch sehr unvoreingenommen an die Exposés zu gehen. Da ich aus dem Bereich der Theaterwissenschaft komme, frage ich mich, wie der Film aus einer dramaturgischen Perspektive umgesetzt werden kann. Ich sammele dann Ideen, Fragen und Gedanken erstmal für mich, um sie dann mit der Gruppe und den Filmschaffenden zu besprechen.
Dirk: Wie schätzt ihr den Aufbau der Atelier-Gespräche ein? Zuerst gibt es eine Kennenlernrunde, dann werden Vorgängerprojekte der Filmemacher*innen besprochen, es folgt ein Gespräch über das Treatment. Circa ein halbes Jahr später gibt es dann eine Rohschnittbesprechung, und dann seht ihr euch noch mal zur Filmvorführung mit abschließendem Gespräch. Findet ihr dieses ganze Paket wertvoll?
Jihad: Ich finde den Aufbau echt gut. Ich finde es gut, dass wir uns zuerst als Gruppe besprechen, bevor wir mit dem*r Filmemacher*in sprechen. Da sammeln wir dann meistens auch ein paar Fragen und tauschen uns aus. Wenn wir uns dann die Vorgängerprojekte ansehen, bekommt man einen guten Einblick in die Arbeit des*r Filmemachers*in und kann sich schon mal vorstellen, wie Text hier in Visuelles übersetzt wird. Ich finde es auch gut, dass die Filmemacher*innen uns so vertrauen, dass sie dann mit dem Rohschnitt zu uns kommen und nochmal offen für Feedback sind.
Pia: Bei mir waren es bis jetzt immer nur Teilgespräche, die ich von diesem gesamten Aufbau erlebt habe. Ich finde es aber besonders spannend, wenn es dann um die Rohschnittfassung geht. Die Filmemacher*innen präsentieren sich mit dem Rohschnitt auf eine Weise nackt, weil der Film einfach noch nicht fertig ist. Bei dem Film „Hinter unserem Horizont“ haben wir uns gegenseitig noch viele Fragen gestellt, und durch das Gespräch hat sich dann tatsächlich auch noch einiges an der finalen Fassung verändert.
Dirk: Wie erlebt ihr diesen Austausch mit den Filmschaffenden? Ist das ein Austausch ‚auf Augenhöhe‘?
Jihad: Ja, auf jeden Fall. Natürlich ist das bei jedem*r Filmemacher*in unterschiedlich. Aber bis jetzt haben wir fast nur positive Erfahrung gemacht. Es ist nochmal was ganz anderes, wenn man sieht, dass er oder sie richtig nachhakt und sich Notizen macht und man dann das Gefühl hat, dass man wirklich gehört wird.
Pia: Ich war das erste Mal schon etwas aufgeregt mit einem Filmemacher zu sprechen und war dann total beeindruckt, dass der Austausch wirklich so auf Augenhöhe stattfindet. Die Filmemacher*innen sind wirklich interessiert an uns und wollen wissen, was wir denken und was wir zu ihren Projekten zu sagen haben.
Dirk: Das Spektrum der Filme, die ihr gesehen habt, reicht von sehr intimen Portraits bis hin zu intensiven Auseinandersetzungen mit politischen Systemen. Wenn ihr so einen Weg mit einem Film gegangen seid und am Ende im Kino sitzt, habt ihr dann das Gefühl, der Weg hat sich gelohnt? Findet ihr etwas wieder von dem, was ihr miteinander diskutiert habt?
Jihad: Ich würde sagen, ja. Es ist schon besonders, wenn man den Stoff gelesen hat und dann in Bilder übersetzt sieht. Es geht dabei ja auch um echte Menschen, der Stoff ändert sich mit der Zeit. Man kann zwar einiges einschätzen, aber was dann wirklich passiert, ist immer wieder spannend. Bei dem Film „Ich habe dich geliebt“ habe ich im Film nochmal ganz andere Ebenen gesehen, als die, die ich im Exposé gesehen habe.
Pia: Bei dem Film „Hinter unserem Horizont“ war die Besprechung des Rohschnitts an einigen Stellen schon sehr kritisch. Da war ich sehr gespannt, wie die Filmemacher Dennis und Patrick Weinert damit umgehen werden. Das Ergebnis hat sich dann wirklich nochmal sehr verändert. Das ist ein schönes Erlebnis, wenn man sieht, dass die doku.klasse einen Film so beeinflussen kann.
Dirk: Ihr erfahrt viel über Stoffentwicklung, Dramaturgie, über die Umsetzung und stilistische Mittel. Habt ihr als Besucherinnen der doku.klasse das Bedürfnis, mehr über einzelne Teilbereiche zu erfahren? Wo seht ihr Grenzen?
Jihad: Also ich sehe die Grenze vor allem darin, dass wir nicht bei einem Filmdreh dabei sein können. Ich würde mich aber freuen, mal bei einem Schnitt dabei zu sein, um den Prozess der Dramaturgie so mitzuerleben. Ich fände es auch interessant, wenn wir die Möglichkeiten hätten, die Protagonist*innen öfter mal zu treffen, um über ihre Perspektive des Films zu sprechen.
Pia: Für mich wäre es interessant, schon bei der Entwicklung der Idee dabei zu sein, also noch bevor ein ausgearbeitetes Exposé entsteht. Ich wäre auch an einem redaktionellen Teil interessiert, in dem grundlegende Fragen besprochen werden. Welche Geschichte soll hier erzählt werden und vor allem, wie?
Dirk: Seit März mussten wir ja auf rein digitale oder hybride Formate in unseren Atelier-Gesprächen ausweichen. Wie schätzt ihr die Arbeit mit den Bedingungen der Pandemie ein?
Pia: Die Situation ist ja besonders für Filmemacher*innen, die eigentlich gerade im Ausland drehen würden, sehr schwierig. Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass wir diese digitale Möglichkeit in Anspruch nehmen, und bin auch froh, dass die doku.klasse da von Anfang an so schnell umgestiegen ist.
Jihad: Mir würde nichts einfallen, wie man es noch verbessern könnte. Die Schritte, die wir genommen haben, damit es weiter stattfinden kann, sind ja gut gelungen.
Dirk: Abschließend ein Blick in die Zukunft: Welche Themen sollten eurer Meinung nach in dokumentarischen Stoffen behandelt werden?
Jihad: Ich wünsche mir vor allem Filme über unterrepräsentierte Gruppen in Deutschland. Ich würde mich über einen Stoff mit einer muslimischen Protagonistin freuen. Es wird zwar viel über Brennpunkte geredet, aber statt mit den Menschen zu sprechen, spricht man nur über sie.
Pia: Für mich wären Stoffe interessant, in denen junge Menschen gezeigt werden, die vielleicht einen anderen Weg gegangen sind und mutig waren, etwas Eigenes auszuprobieren. Beispielsweise mit der Gründung eines Start-Ups oder generell einen Weg zur Selbstverwirklichung gewählt haben, der sich von gesellschaftlicher Konvention abwendet.