Gleich zu Beginn erklärt Rosa Hannah Ziegler: „Wir haben schon im Oktober gedreht“. Für ihr aktuelles Projekt „If you love me“ (AT) erhofft sie sich nun aus der doku.klasse Input für die Postproduktion mitnehmen zu können. Dadurch verändert sich der Fokus für das Treffen; weg von Möglichkeiten was gedreht werden kann und hin zu einem Umgehen mit dem „was da ist“.
In „If you love me“ (AT) geht es um zwei junge Erwachsene, Ben und Katharina. Sie sind ein Paar und haben doch mit erheblichen Reibungen untereinander zu kämpfen, die beide an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen und die Frage aufwerfen, wie lange diese Beziehung noch Bestand hat.
Weiterverfolgen von Biografien
2016 war die Filmemacherin bereits bei der doku.klasse zu Gast und hat mit Jugendlichen das Treatment zu „Du warst mein Leben“ besprechen können. Darin ging es um die fragile Beziehung zwischen einer Tochter und ihrer Mutter. Der Film ist ein Folgeprojekt, das aus einem Kurzfilm mit der Tochter entstand. Auch „If you love me“ (AT) folgt aus dem Dokumentarfilm „Familienleben“ mit einer Mutter, ihren zwei Töchtern und dem Freund, der nebenan wohnt. Das Miteinander der Familie ist geprägt von der Emotionalität der Protagonisten und von Konflikten, aus denen Spannungen untereinander aber auch Versuche entstehen, sich gegenseitig Halt zu geben.
Ben – einer der Protagonisten des aktuellen Filmprojekts – ist der zweitälteste Sohn der Familie. „Was war mit Ben in der Zeit?“ möchte ein Teilnehmer wissen, denn Ben taucht im Film „Familienleben“ nicht auf. Ben und sein Bruder hatten konstante Reibereien und waren zu dem Zeitpunkt bereits von Zuhause ausgezogen.
Gleichgewicht
Ein Jahr vor Drehbeginn lernte Rosa Hannah die Protagonistin Katharina kennen. Im Sommer 2018 hat ein mehrtägiger Recherche-Dreh stattgefunden, danach entstand das Exposé. Bereits vor Drehbeginn hatte die Filmemacherin regelmäßig Kontakt mit beiden Protagonist*innen. Mit Katharina und Ben hat die Filmemacherin über die Dreharbeiten ausführlich gesprochen.
Eine Teilnehmerin erwähnt, dass Katharina als zurückhaltender und Ben als präsenter Charakter im Treatment beschrieben werden, und die Frage kommt auf, ob dadurch ein Ungleichgewicht entstehen könnte.
Die Protagonist*innen sind in ihren Charaktereigenschaften „so wie sie sind“: Es geht um eingespielte Beziehungsmuster, bedingt durch den Verlauf ihrer Beziehung und einer Konfliktsituation, die sich während der Drehtage ereignet hat.Die Gewichtung der Charaktere wird sich daraus ergeben, wie sich die Protagonist*innen während der Dreharbeiten zeigen.
Die Themenvielfalt stellt für die Teilnehmer*innen auch noch Grund zur Nachfrage. Katharina war von Ben schwanger und hat das Kind verloren: „Wie stellt sich der Verlust des gemeinsamen Kindes im Film dar?“. Mit diesem schmerzhaften Ereignis kann nur sehr behutsam umgegangen werden und nur dann, wenn die beiden Protagonist*innen das möchten. Außerdem ist es, was die Montage angeht, immer eine Frage der Balance, ob das die Struktur des Films aushält.
Stereotypen herausfordern
Katharina ist auf der Social Media Plattform TikToksehr aktiv in der Kreation eigener kleiner Videos und hat dort eine Community gefunden.Es wurden verschiedene TikTok Clips gesichtet, um die Protagonist*innen den Workshopteilnehmer*innen vorzustellen. Und um zu schauen, wie diese Clips grundsätzlich ankommen, was die Teilnehmer*innen darüber wissen. Ob die TikTok Videos im Film Platz finden werden, ist noch nicht entschieden. Im Exposé war dies als eine Option vermerkt, mit zusätzlichen Material zu arbeiten.
Einige der Teilnehmer*innen berichten welche Inhalte sie online von Katharina finden konnten, denn auch über TikTokhinaus schreibt sie eigene Texte zu FanFiktion Themen. Rosa Hannah ist beeindruckt von der Recherche: „Da seid ihr fast besser informiert als ich“. – Die einstimmige Rückmeldung lautet, dass es wichtig ist mitzubekommen, dass Katharina Zeit in die Videos investiert; sie auch in den Vorbereitungen zu zeigen und in den Film Videos einzubauen, die eine kreative Eigenleistung deutlich machen. Denn „solche Leute sind oft Außenseiter, daher ist es wichtig, diesen Stereotypen zu challengen.“, sagt eine der Teilnehmer*innen.
Unter den Teilnehmer*innen herrscht auch die Sorge, dass Ben romantisiert wird. Der junge Mann reagiert in Phasen der Realitätsflucht zum Teil mit aggressivem Verhalten auch gegenüber Katharina. „Das ist passiert, aber das ist ok, weil er liebt mich ja“ ist die konkrete Angst vor einer Einordnung dieses Verhaltens im Film. Die Filmemacherin versteht den Punkt, entgegnet aber: „In vielen Beziehungen passiert das auch so, von daher muss es auch mal gezeigt werden“, die generelle Bemühung ist daher „vielschichtig, aber nicht romantisierend“.
Eine große Frage
Abschließend möchte die Runde noch wissen: „Was soll der Eindruck sein, mit dem die Zuschauer aus dem Film kommen?“ Worauf Rosa Hannah Ziegler nur leicht lächelnd zurückgibt: „Oh, das ist eine große Frage!“ Rosa Hannah möchte den Zuschauern Einblick in einen schwierigen Beziehungskonflikt geben, mit der Hoffnung sich selbst auch darin wieder finden zu können, was eigene Erfahrungen, Verhaltensmuster, Ängste und Hoffnungen angeht.
Darüber erörtert sie ihre Intentionen, sich diesem und auch den vorhergegangenen Projekten zu widmen. Ihre Protagonist*innen sind von einer großen Sehnsucht getrieben, geliebt zu werden. Für Rosa Hannah ist es spannend, gemeinsam mit ihnen eine Art „Bewältigungsarbeit“ zu leisten und zu entdecken, woher die Gründe für ihr Verhalten herrühren. Damit erreicht man eine Aufmerksamkeit und Nachvollziehbarkeit für Menschen, die sonst unsichtbar bleiben.
Bleibt eigentlich nur noch die Frage: „Kommst du nochmal mit dem Rohschnitt wieder?“. Und so wir im Frühjahr 2020 die doku.klasse im Montagestadium weiter an das „Herz des Materials“ vordringen.